© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Europa als Vorbild
Menschenrechte: Nun auch für Afrikas Kleinfamilien
Volker Schuster

Der gegenwärtig wohl am stärksten vertretene Einwand gegen den Universalismus der Menschenrechte werde "im Namen kultureller und religiöser Vielfalt" formuliert. Den im asiatisch-afrikanischen Raum tonangebenden "Kulturrelativisten" sei es, wie die in Johannisburg lehrende Soziologin Sibylle van der Walt beklagt (Saeculum, 2/2006), inzwischen gelungen, "die Werte der Menschenrechte" als "aufs engste" verknüpft mit dem westlichen Gesellschaftstyp und dessen "individualistischem Menschenbild" darzustellen und ihnen jede darüber hinausgehende Gültigkeit zu bestreiten.

Van der Walt scheint diesen Kulturrelativismus noch stärken zu wollen, wenn sie nachweist, wie mit der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" (1948) in der UN-Kommission unter dem dominanten Einfluß des Franzosen René Cassin ein exklusiv westliches Menschenrechtsmodell durchgedrückt wurde. Trotzdem lasse sich dieser "erste Universalisierungsversuch des Westens" reduzieren. Zwar hätten sich Saudi-Arabien, Südafrika und sechs Ostblock-Satten bei der UN-Schlußabstimmung enthalten, aber immerhin seien unter den 48 Ja-Stimmen zahlreiche nichtwestliche Länder gewesen. Man könne dies heute so deuten, daß unter dem Eindruck des Holocaust, der die UN-Deklaration wesentlich motivierte, kein Bedürfnis bestand, "die kulturellen Besonderheiten der eigenen Rechtstradition" in dem Dokument zu verankern. Insoweit herrschte wenigstens kurzfristig ein "breiter internationaler Konsens" über die Menschenrechte, der sich im Zuge der Entkolonialisierung so gründlich auflöste, daß die Erklärung von 1948 nachträglich als Oktroyierung des Westens empfunden wurde. In den neunziger Jahren konnte sogar die Scharia zum "Kern universaler Menschenrechte" erklärt werden, oder, so hieß es unter Berufung auf "genuin afrikanische Traditionen", die "Häuptlingsherrschaft" schütze das Individuum effektiv vor "äußerlicher Staatsgewalt", so daß es keine Grundrechte brauche. Die Dominanz der Großfamilie über öffentlich-staatliche Strukturen sorge hinlänglich dafür, "daß der Einzelne zu seinen Rechten kommt".

Bei genauerer Analyse südafrikanischer Gesellschaftsstrukturen glaubt van der Welt jedoch, diesen universalistischen Anspruch gegen den ursprünglich vom "Apartheitsregime" reklamierten Kulturrelativismus neu legitimieren zu können. So hätten sich afrikanische Herrschafts- und Sozialstrukturen, die einen gesonderten Rechtsschutz für das Individuum überflüssig machten, inzwischen aufgelöst. Man erlebe gerade den "Niedergang des klassischen Mehrgenerationen-Haushalts". Damit verschwinde auch der Dualismus zwischen westlichen Menschenrechten und indigenen Rechtstraditionen. Je mehr Entwicklungsländer sich also sozioökonomisch nach westlichem Vorbild wandelten, desto dringlicher werde auch die Implantation "eurozentrischer" Rechtssysteme, da allein sie gegen "die pathologischen Potentiale zentralstaatlicher und kapitalistischer Strukturen" schützen.


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