© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

57. Internationale Filmfestspiele "Berlinale": Das verschnarchte Image abgelegt
Berliner Talent-Campus
Christoph Martinkat

Was haben die Berlinale und Bayern München gemeinsam? Beide versprechen jedes Jahr einen "großen Kracher" (Uli Hoeneß), um sich letzten Endes doch auf die "kleinere Lösung" zu verständigen, die das Mannschafts-, sprich Gehaltsgefüge nicht durcheinanderwirbelt. Nun steht sie also vor der Tür: die 57. Berlinale, die zwar weiterhin zu den drei großen 1A-Filmmessen (neben Venedig und Cannes) gehört, aber beim Hollywood-Film die kleinere, die 1B-Lösung bevorzugt. Folgerichtig wird die Lieblingsfrage des Boulevards: "Wer ist auf dem roten Teppich alles dabei?" in Berlin eingedampft: "Kommt der Star?" Diesmal kommt er: Er heißt George Clooney und spielt in Steven Soderberghs Wettbewerbsfilm "The Good German" einen US-Journalisten, der im Berlin der Nachkriegszeit in einen Mordkomplott gerät. Das ist die Präsenz am Ort der Filmhandlung natürlich oberste Schauspielerpflicht.

Daß hinter der An- oder eben Abwesenheit Hollywoods auf den großen europäischen Filmfesten handfeste ökonomische Interessen stehen, ist ein offenes Geheimnis. Dazu paßt die jüngste Verlautbarung von Berlinale-Leiter Dieter Kosslick, daß die neuinstallierten Filmfeste in Rom und Dubai mit beliebig viel Geld um sich schmissen, also Dutzende von Hollywoodfilme und -Stars einkauften, um den altehrwürdigen Filmmessen damit die Schau zu stehlen. So war etwa der letzte Rom-Eröffnungsfilm "Fur" mit Nicole Kidman für die Filmfestspiele in San Sebastian vorgesehen. Aber die baskische Festivalleitung konnte und wollte wohl nicht den Privatjet bezahlen, den Kidman für ihre Anreise verlangte.

Rom hingegen ließ sich nicht lumpen. Allein für die Anreise des Hollywood-Stars berappte man satte 500.000 Euro. An solche Gelder ist in Berlin nicht zu denken, zumal Filmförderung und -etat hierzulande nicht ansatzweise an die Aufwendungen Hollywoods heranreichen. So ist es beileibe kein Zufall, daß die aktuellen deutschen Wettbewerbsbeiträge nur mit Hilfe von TV-Geldern zustande gekommen sind. Dabei werden "Yella" von Christian Petzold und "Die Fälscher" von Stefan Ruzowitzky gute Chancen eingeräumt, einen Festivalpreis abzugreifen.

Denn eine Tendenz ist auf dem Berliner Filmfest seit geraumer Zeit zu erkennen: Das Mannschaftsspiel ohne große Hollywood-Stars ist dem Festival wie auch dem deutschen Film gut bekommen. Die Berlinale hat ihr leicht verschnarchtes Image der achtziger und neunziger Jahre auch deshalb abgelegt, weil unter der Ägide von Dieter Kosslick Sektionen wie "Perspektive Deutsches Kino" oder "Generation" entstanden oder rundum erneuert wurden. Zudem versammelt der "Berlinale Talent Campus" junge Filmemacher, die sich mit den Profis austauschen können und eigene Filme produzieren. Der "Campus" investiert also in die Zukunft - des Festivals, vor allem aber des Films.

Erfolgsgeschichte des deutschen Kinos als Meßlatte

Die Berlinale begreift sich als Laboratorium für das Kino der Zukunft, weniger als Werbekampagne für die Markenartikel des US-Films. Ein Konzept, das offenbar aufgeht - meßbar etwa an der Erfolgsgeschichte des deutschen Kinofilms. Filme wie die "Die fetten Jahre sind vorbei", "Requiem", "Sophie Scholl", "Das Leben der anderen" oder "Das Parfüm", den 2006 mehr als fünf Millionen Kinobesucher sahen, stehen da nur pars pro toto, ebenso eine Reihe junger Schauspieler wie Sandra Hüller, Julia Jentsch und Marie Bäumer, Daniel Brühl und Milan Peschel.

Deutsche Filme, ihre Macher und Akteure erinnern aktuell an den frischen Wind, den die DFB-Kicker in eine ansonsten eher spielerisch enttäuschende Fußball-WM gebracht haben. Einiges von diesem frischen Wind wird man auf der aktuellen Berlinale, vor allem im "Berlinale Forum" - mit seinem deutschsprachigen Programmschwerpunkt - und in "Perspektive Deutsches Kino" erleben können. Zu sehen sind dort Ann-Kristin Reyels' im winterlichen Brandenburg gedrehtes bemerkenswertes Regiedebüt "Jagdhunde"; Maria Speths reifer zweiter Film "Madonnen", in dem Sandra Hüller als Mutter und Tochter eine schauspielerische Tour de force durchmacht, und Angela Schanelecs "Überraschender Nachmittag", eine in die heutige Zeit übertragene Variante von Tschechows "Möwe", angesiedelt zwischen Potsdam und Berlin.


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