© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Mißlungener Kompromiß
Gesundheitsreform: Auf dem Weg in die staatliche Einheitskasse
Jens Jessen

So hatten es sich die Granden der CDU/CSU sicher nicht vorgestellt: Ulla Schmidt legt - nahezu unbedrängt - die Grundlagen für ein staatlich gelenktes Gesundheitssystem, und keiner von den Großkopferten des Koalitionspartners der SPD hat es verhindert. Blind und blauäugig haben sich die Verhandlungsführer von CDU/CSU in der Koalitionsarbeitsgruppe zur Vorbereitung der Gesundheitsreform vorführen lassen. Dabei konnten sie es besser wissen.

Das Jahresgutachten 2006/07 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage hat in Kapitel 5 mit der Überschrift "Soziale Sicherung: Licht und Schatten" festgestellt, daß die Gesundheitsreform 2006 ein mißlungener Kompromiß ist. Die Wirtschaftsweisen sind noch weiter gegangen. Das Kernstück des Kompromisses ist der Gesundheitsfonds, der 2009 installiert wird. Dieser Fonds wird im Jahresgutachten grob als eine Mißgeburt bezeichnet. Er wird gespeist aus den Beiträgen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie Steuermitteln. Wenn den Kassen Geld fehlt, werden Steuergelder eingesetzt. Die Regierung, nicht mehr die Einzelkasse, legt den Beitragssatz für alle Kassen fest.

Der Fonds steht damit im Zentrum eines Systems, das vollständig durch die Politik gesteuert wird. Ausgekungelt wurde der Fonds im Frühjahr 2006 von dem Vertrauten Angela Merkels, Fraktionschef Volker Kauder, und Ulla Schmidt. Die Gesundheitsministerin sieht - völlig zu Recht - in dem Fonds ein geeignetes Vehikel für die Beförderung einer staatlichen Einheitskasse in der Art der "Bürgerversicherung". Die fehlende Sachkenntnis der CDU-Vertreter wird noch erhebliche Folgen haben.

Neidlos ist der Gesundheitsministerin das Prädikat "gut" für ihre Durchsetzungskraft gegen die gesundheitspolitische Unbedarftheit aus dem schwarzen Süden Deutschlands zuzugestehen. Um die Laienspielschar der Union von ihren eigenen Zielen abzulenken, warf sie ihr mit den Drohgebärden gegen die Private Krankenversicherung (PKV) einen schönen Zankapfel zum Zähnezeigen hin. Die Union tat, was Ulla Schmidt von ihr erwartete: Sie verlor das Wesentliche aus den Augen. In den siebziger Jahren hatte Ulla Schmidt in den K-Gruppen als Kommunistin ihr Talent für politische Taktik geübt. Als Ministerin perfektionierte sie diese. Die CDU kam ihr da gerade recht, um das zu beweisen.

Das "GKV-WSG", übersetzt "Gesetzliche Krankenversicherung-Wettbewerbstärkungsgesetz", verhindert Wettbewerb. Mit dem Fonds, der die eingesammelten Gelder an die Krankenversicherungen als Pauschale pro Versicherten zurückzahlt, ist die Kostenerhöhung vorprogrammiert. "Neusprech" ist angesagt: Wettbewerbsstärkungsgesetz ist Kostensteigerungsgesetz, Kostensteigerungsgesetz ist Einheitsversicherungsgesetz, Einheitsversicherungsgesetz ist Wettbewerbsstärkungsgesetz. Das staatlich gelenkte Gesundheitssystem, das in Deutschland spätestens am 1. Januar 2009 auf die Schienen gesetzt wird, hat dann den Schulterschluß mit den nordischen Staaten und dem Süden (Spanien, Italien und Portugal) erreicht.

Die weitere Entwicklung ist absehbar. Das Gesundheitswesen wird durch die rasant steigenden Kosten aufgrund der Alterung der Bevölkerung und des medizinischen Fortschritts sowie der schwindenden Beitragseinnahmen aufgrund der Abnahme der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerschaft schnell an den Rand des finanziellen Abgrunds kommen. Wenn der geförderte Wechsel der hohen Risiken in den Basistarif der privaten Versicherer umgesetzt wird, kommt es zu einer kurzfristigen Entlastung der GKV. Mittelfristig wird die PKV zerstört, wenn sie durch den Basistarif für alle die von den Vollversicherten in der PKV gebildeten Rücklagen für das Alter auflösen muß. Ist das geschehen, wird die PKV vor ihrem letzten Atemzug Karl Lauterbach bitten, seinen alten Vorschlag umzusetzen, die Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung an die der Rentenversicherung anzupassen und die PKV an den kurzfristig sprudelnden Beitragseinnahmen der GKV teilhaben zu lassen. Da jedoch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer weiter abnehmen wird, verringern sich auch die Einnahmen der GKV. Die Ausgaben nehmen aus den oben genannten Gründen kräftig zu.

Je knapper die Einnahmen, desto niedriger ist das vom Staat festgesetzte Leistungsniveau. Ändern läßt sich das wiederum nur, wenn die Bürgerversicherung ab 2016 durch Steuern finanziert wird. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß Ulla Schmidt dann nicht mehr Gesundheitsministerin ist. Mit Stolz wird sie verkünden, sie habe ihr Ziel von 2006 erreicht: Über das steuerfinanzierte Gesundheitswesen wird jeder Versicherte mit allen Einkunftsarten wie in Dänemark beitragspflichtig. Alle Bürger im dänischen Königreich finanzieren über die Einkommenssteuer von maximal 64 Prozent die Arbeitslosen- und Krankenversicherung und die Basisrente ab Vollendung des 67 Lebensjahres. Das Gesundheitswesen wird zu 80 Prozent aus öffentlichen Kassen finanziert. Den Rest tragen die Einwohner durch Eigenbeteiligung.

Dabei wird es keine Rolle spielen, daß die Zweiklassenmedizin jetzt erst richtig aufblüht. Andere Länder wie Großbritannien mit ihrem staatlichen Gesundheitssystem sind dafür ein glänzendes Beispiel. Wer mehr verdient, wird sich eine bessere gesundheitliche Versorgung erkaufen.


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