© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Sehnsucht nach Cordoba
Einwanderung: Kritik an "apokalyptischer Sprache" / Tagung zur Integration muslimischer Staatsbürger in Berlin
Fabian Schmidt-Ahmad

Der Islam ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Wie diese wachsende Zahl muslimischer Gemeinden in die Gesellschaft integriert werden kann, war vergangene Woche Thema einer Tagung in Berlin. Veranstaltet wurde diese gemeinsam von Konrad-Adenauer-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung. Zur Eröffnung empfahl der amerikanische Botschafter William R. Timken die Vereinigten Staaten in Sachen Einwanderung als Vorbild für Deutschland. Dieser Forderung schloß sich das begleitende Plenumsgespräch unter der Moderation von Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, an. So stellte Fücks gleich zu Beginn die Frage, wie wir "in Deutschland amerikanische Verhältnisse hinbekommen".

Offensichtlich gibt es auf dem Weg dorthin noch einige Widerstände zu überwältigen. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne), von 1998 bis 2005 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, kritisierte die "apokalyptische Sprache", mit der die Zuwanderung beschrieben werde. Tatsächlich seien dies aber "gefühlte Wahrheiten", die keine statistische Realität besitzen, wie sie anhand von Daten aus den späten neunziger Jahren nachweisen wollte. Diese Lücke zwischen öffentlicher Empfindung und Datenmaterial erklärte Beck damit, daß die meisten damals "mental noch nicht soweit" waren.

Pflüger empfielt Cordoba als Vorrbild

Zwar vermerkte sie positiv, daß heute von "Menschen mit Migrationshintergrund" anstelle "Ausländern" gesprochen wird, aber trotzdem machte sie massiven Nachholebedarf aus: "Wir sind da noch nicht weiter." Auch Friedbert Pflüger, seit vergangenem Jahr Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, sah Defizite: "Wir brauchen in Deutschland eine Willkommenskultur." Viele Ressentiments gegenüber Muslimen müssen aus seiner Sicht noch abgebaut werden. Als aufklärendes Bild beschrieb er kulturelle Vielfalt und Blüte, die europäisches Judentum und Christentum unter Oberherrschaft eines toleranten Islams erlebten - im mittelalterlichen Cordoba. Beck nahm dies zum Anlaß, von einer "Wiedereinwanderung" von Muslimen zu sprechen. Auf die Frage des Moderators, wieso sich Pflüger dann gegen den Bau einer Ahmadiyya-Moschee im Berliner Bezirk Pankow ausgesprochen habe (die aber dennoch gebaut wird), verteidigte er seine Haltung damit, daß diese religiöse Richtung "den Propheten nicht anerkennt". Statt dessen sah er in der Ahmadiyya-Bewegung eine Sekte und verglich sie mit Scientology.

Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani, Sohn iranischer Eltern und Besitzer sowohl des iranischen wie deutschen Passes, teilte diese Einordnung nicht, die er als "originell" bezeichnete. Ansonsten machte er keinen Dissens zwischen sich und seinen Vorrednern aus. Als einziger stellte Kermani der deutschen Bevölkerung ein positives Zeugnis aus. Dafür, daß "13 bis 17 Millionen" Menschen eingewandert sind - was seiner Ansicht nach nie ohne soziale Probleme abläuft -, sei der Prozeß "einigermaßen glimpflich" abgelaufen.

Problem der sozialen Schichtung

Damit widersprach er eigentlich deutlich der Einschätzung von Beck. Entsprechend empfahl diese ihm auch, "daraus keine Schlagzeile zu machen".Kermani warb dafür, entstandene Probleme nicht anhand der Religionszugehörigkeit zu begreifen. Statt dessen sei dies primär ein Phänomen der sozialen Schichtung. Beispielsweise seien die Iraner die Einwandergruppe mit den höchsten Anteil an Akademikern. Kinder aus italienischen Einwandererfamilien hätten größere Sprachschwierigkeiten als der türkische Nachwuchs. Auf den Einwurf aus dem Publikum, daß marodierende türkische Jugendliche in der Berliner U-Bahn doch sehr wohl ein muslimisches Problem seien, konterte Kermani mit der Feststellung, daß er - als Ausländer - schließlich auch nicht in Brandenburg mit der S-Bahn fahren könne.

Der zweite kritische Einwurf des Abends stammte von Pflüger, der im Rahmen einer Leitkultur - ein Begriff, der von Beck heftig angegriffen wurde - "gewisse Anpassungsleistungen" von Muslimen erwartete. Mit Blick auf das Grundgesetz empfahl er, daß Muslime, die nach Deutschland kommen, doch Abstand nehmen sollen von der Scharia und allem, was damit zusammenhänge. Diese vorsichtige Aussage wurde von einigen im Publikum anwesenden muslimischen Vertretern mit einer aussagekräftigen Reaktion quittiert: mit Gelächter.


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