© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

"Mit Gewalt auf ihren Platz zwingen"
Finnland: Hohe Investitionen im Schulbereich und ein niedriger Einwandereranteil ermöglichen das Bildungswunder
Anni Mursula

Die zunehmende Disziplinlosigkeit unter Schülern macht ein systematisches Lernen in einem geordneten Schulalltag zunehmend unmöglich. Mit dieser Problematik steht Deutschland nicht allein. Während die EU-Länder meist versuchen, die Situation mit Sozialarbeitern in den Griff zu bekommen, werden beispielsweise in Japan zur Zeit ganz andere Mittel diskutiert: Premier Shinzo Abe befürwortet den Vorschlag einer Expertenkommission, renitente Schüler mit leichten Schlägen auf den Kopf zu bestrafen. Es gehe aber nicht darum, die Schüler wie früher "mit dem Stock zu züchtigen oder brutal zu verprügeln", wie ein Regierungssprecher auf besorgte Anfragen klarstellte.

In Japan weiß man, daß zu einer funktionierenden Schule mehr gehört als Bestrafung. Daher schickte das japanische Bildungsministerium jetzt eine Delegation nach Finnland. Denn seit dem ersten internationalen Schülervergleich (Pisa-Studie 2000) gilt Finnland als das "Bildungswunderland". Während ihres Aufenthaltes besuchte die japanische Kommission auch die Schule Tytyrin koulu im 36.000 Einwohner zählenden südfinnischen Lohja (Lojo). Sie gilt wegen ihrer Schülerförderung als beispielhaft. "Für uns ist es eine Ehre, wenn andere Länder in uns ein Vorbild sehen", sagt die Rektorin Riitta Innanen. "Wir selber aber erkennen auch bei uns noch viel Verbesserungsbedarf."

Trotz ihres Vorbildcharakters ist Tytyrin koulu eine normale finnische "Grundschule": Sie umfaßt die ersten sechs Schulklassen. Doch das ist keine "Gesamtschule" im deutschen Sinne. In Finnland besuchen zwar alle Schüler bis zur Klasse 9 dieselbe Schule, sie werden aber individuell gefördert. "Schwache Schüler bekommen bei uns jeweils einen persönlichen Lehrplan, der halbjährlich aktualisiert wird. Begabte Schüler dagegen werden speziell gefördert", so Innanen. Dies sei weit von einer deutschen Gesamtschule entfernt, die die Anforderungen auf das Niveau der schwächsten Schüler herunterschraube.

Finnische Lehrer verdienen weniger als die deutschen

"Wenn ich auf etwas besonders stolz bin im finnischen Schulsystem, dann auf die sogenannte Schülerfürsorge", sagt die Schulleiterin. Nicht nur das tägliche Mittagessen ist kostenlos - auch der Schulbus und Unterrichtsmaterialien für die Schüler. Darüber hinaus gibt es einen speziellen Sozialpädagogen, der sich um Problemschüler und ihre Familien kümmert, eine Schulschwester, Speziallehrer und Schulassistenten. "Um diese Schülerfürsorge zu garantieren, haben wir wöchentlich eine Konferenz zu den vorhandenen Problemen. Wir besprechen dann mögliche Lösungen und holen auch immer wieder die Eltern dazu ", sagt Innanen.

In Deutschland gilt das finnische Modell als ideal. Doch nicht nur die Schulsysteme, sondern auch die Voraussetzungen sind völlig verschieden. In Finnland sind die Klassen mit durchschnittlich 19,5 statt 25 Schülern kleiner. Außerdem investiert die Regierung wesentlich mehr in ihre Schulen nach der Devise: Was man im Schulwesen spart, zahlt man am Ende an Sozialkosten drauf. Andererseits verdienen finnische Lehrer wesentlich weniger als ihre deutschen Kollegen - die meisten von ihnen sind auch nicht verbeamtet.

Ein Grund für Finnlands gutes Abschneiden bei der Pisa-Studie ist seine kulturelle Homogenität und die dadurch vermiedenen Probleme. Doch auch in Finnland gibt es einen wachsenden Migrantenanteil, momentan sind es etwa zwei Prozent der Bevölkerung. "In unserer Schule haben wir zum Beispiel zehn Prozent Einwandererkinder, damit liegen wir weit über dem Landesdurchschnitt", erzählt Innanen. "Alle ausländischen Kinder aus dem Gebiet besuchen unsere Schule, weil wir besondere Förderungsprogramme anbieten."

Ausländische Schüler kommen hier erst in "Vorbereitungsklassen". Dort lernen sie ein bis zwei Jahre lang die Landessprache und -kultur, erst danach dürfen sie eine normale Klasse besuchen, denn "erst wenn sie die Sprache beherrschen, können sie auch dem normalen Unterricht problemlos folgen". Innanen betont, daß es in Finnland erst seit ein paar Jahrzehnten Einwanderer in größerem Ausmaß gibt. "Die Einwanderung verläuft bei uns wesentlich kontrollierter. Schließlich konnten wir viel aus den Problemen anderer Ländern lernen."

Riitta Innanen lacht über die Frage, ob sie es sich vorstellen könne, die Prügelstrafe wieder einzuführen. "Vielleicht nicht als solche. Aber einen Schritt in diese Richtung haben auch wir in den vergangenen Jahren unternommen. Eine Zeitlang durften Lehrer die Kinder hier gar nicht mehr anfassen. Nun dürfen sie zumindest aufsässige Kinder wieder mit Gewalt auf ihren Platz zwingen oder gegebenenfalls so lange festhalten, bis diese sich wieder beruhigt haben."


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