© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/07 16. Februar 2007

Raus aus dem Ghetto!
Alles Böse kommt von links: Ein französisches Buch bricht mit dem Tabu des Rechts-Sein
Karlheinz Weissmann

Im vergangenen Sommer lag der Band in allen größeren französischen Buchhandlungen, und mittlerweile sind mehr als vierzigtausend Exemplaren verkauft. Das ist bemerkenswert, auch wenn es sich bei dem Autor Eric Brunet um einen relativ bekannten Mann - Fernsehjournalist beim Sender France 3 - handelt. Es ist noch bemerkenswerter, wenn man den Titel in Betracht zieht: "Etre de droite - un tabou français" (zu deutsch: "Rechts-Sein - ein französisches Tabu").

Das Schweigen der Linken ist ohrengellend, es gab kaum Rezensionen in den großen Blättern, aber das Magazin Valeurs actuelles hat nichtsdestotrotz von einem "notwendigen" Buch gesprochen, einem Buch, das ein sorgfältig gemiedenes Thema aufgreift: die Zensur der politischen Meinungen durch eine Minderheit, ihre Machtergreifung in wichtigen Bereichen der Gesellschaft und ihr unduldsames Regime im Namen der "Toleranz"; mit den Worten Brunets: Die Linke glaubt noch wie einst Voltaire, "daß das französische Volk immer ein dummes und schwaches Volk sein wird, das der Führung durch die kleine Zahl aufgeklärter Männer bedarf".

Dieses elitäre Selbstbewußtsein habe nichts wankend gemacht, weder die Verbrechen des Kommunismus noch die Intervention Solschenizyns, weder der kambodschanische Gulag noch die Abwendung der "neuen Philosophen", weder die Irrtümer Sartres noch die Erbärmlichkeit Mitterrands, weder die Dysfunktion der Planwirtschaft noch das Scheitern des Multikulturalismus. Die "kleinen Robespierres" der Republik wachen über die Tugend und üben fallweise Terror gegen die Abweichler, wenn auch ohne Guillotine.

Die französische Linke konnte nach 1945 ganze Bereiche des öffentlichen Lebens einer "Rebellokratie" unterwerfen, das heißt einer Herrschaft, die sich selbst als "fortschrittlich", "liberal" oder sogar "revolutionär" versteht, aber faktisch nichts anderes tut, als einen ideologischen Überbau zu nutzen, der es erlaubt, jeden Konkurrenten auszuschalten, indem er wahlweise als "reaktionär" oder "faschistisch" denunziert wird.

Das System ist so wirkungsvoll, daß Schulen, Universitäten, die Kultur, die Medien und die Arbeitnehmerorganisationen ganz von der Linken dominiert sind. Im Grunde wird dort die Möglichkeit des Rechts-Seins gar nicht mehr in Betracht gezogen.

Man setzt voraus, daß jeder, der in diesen Bereichen tätig ist, sich entweder den Sozialisten, den Grünen, den Kommunisten oder einer der zahlreichen Splittergruppen zuzählt. Schon die Mitgliedschaft in einer bürgerlichen Partei gilt als indiskutabel. Für die Rechte sind das "verbotene Plätze" - no-go areas.

Bedrückend ist der von Brunet geschilderte Fall eines Lehrers, dem nichts anderes übrigbleibt, als sich während der Dienstzeit "progressiv" zu geben und nur im Schutz der Dunkelheit außerhalb seines Quartiers für die Gaullisten aktiv zu werden. Im Kollegium herrscht eine Atmosphäre aus Kumpanei und Gesinnungskontrolle, von den allmächtigen Gewerkschaften aufrechterhalten, die die Posten der Schulverwaltung als ihr Eigentum betrachten und dafür sorgen, daß nur ihresgleichen aufsteigen kann.

Solche und ähnliche Beispiele sind die eigentliche Stärke des Buches. Besonders überzeugt dabei die Schilderung der Verhältnisse, die Brunet aus eigener Anschauung kennt. Nach einer von ihm zitierten Umfrage betrachten sich nur sechs Prozent der französischen Journalisten als "rechts", mehr als sechzig Prozent als "links". Wohin die "Mitte" im Zweifel tendiert, ist auch eindeutig: Neunzig Prozent der Journalisten bejahen ein Bleiberecht für alle illegalen Einwanderer.

In diesem Sektor des öffentlichen Lebens ist es praktisch ausgeschlossen, für die USA, für Israel oder für die Marktwirtschaft einzutreten, die Ausländerkriminalität zu thematisieren oder Zweifel an den Dogmen der politischen Korrektheit zu äußern, also etwa Einwände gegen die Vorzüglichkeit des weiblichen Geschlechts zu erheben.

Wer diese Lage wenig überraschend findet, wird vielleicht irritiert durch das Phänomen des patron de gauche, des Unternehmers, der sich auf die Seite der Linken stellt, qua ideologischer Fehlorientierung oder weil er sich durch die Kooperation mit einer im Staat so mächtigen Klientel besonders gute Geschäfte verspricht. Die Linke ist in Frankreich seit sechzig Jahren ein Machtfaktor, und im Zweifel legen die Kader der Kommunisten, die Alt-Achtundsechziger und die schicke Linke aus den besseren Vierteln ihre Querelen bei, um den gemeinsamen Feind - die Rechte - zu bekämpfen. Ihre Gegner haben resigniert oder legen ein - wie Brunet es nennt - "mimetisches" Verhalten an den Tag, das heißt sie ahmen die Linke nach, gelegentlich, indem sie sie noch überbieten.

Verbreitet ist auch die Selbsttröstung, man habe die entscheidenden, das heißt ökonomischen, Machtmittel, nach wie vor in der Hand. Brunet glaubt, daß diese Einschätzung auf einem fundamentalen Irrtum beruht, einer Ignoranz gegenüber der Bedeutsamkeit des kulturellen Faktors. Deshalb müsse man die Linke, wenn man sie denn bekämpfen wolle, auf dem Feld der Kultur bekämpfen.

Einen Sieg hält er durchaus für möglich. Die Linke habe es zwar immer wieder verstanden, ihre Ideologien zu "liften" und anzupassen, aber im Grunde sei deren Haltlosigkeit längst erwiesen und die Menge der inneren Widersprüche so groß, daß ein entschlossener Angriff sie zerschlagen könnte. Seit der Ära Mitterrand werde sie nur noch von einem anti-droitisme zusammengehalten, der den alten Antifaschismus abgelöst habe. Wenn man dem eine Rechte entgegenstellen könnte, die Brunet in einem Interview als "schön, großzügig, menschlich, frei und rebellisch" charakterisierte, dann gebe es die Möglichkeit einer Wende.

Für Brunet kommt alles Böse - der Faschismus, der Kolonialismus, der Rassismus - von links. Das wird durchaus geistreich begründet, wenn er etwa auf die Rolle der Kommunisten in der Kollaboration zu sprechen kommt oder auf die Herkunft faschistischer Führer aus dem Lager der sozialistischen Parteien.

Allerdings hat diese Art der Argumentation doch nur polemischen Wert, und es zeigt sich hier auch eine generelle Schwäche von Brunets Ansatz, denn das, was er als "rechts" definiert, soll wahlweise bestimmt werden über Begriffe wie "konservativ" bzw. "neokonservativ" oder "liberal".

Brunet schwebt eigentlich die Restitution einer Mittelpartei vor, die prowestlich, proeuropäisch, marktwirtschaftlich und individualistisch orientiert wäre. Er hat deshalb nichts dagegen, wenn die Regierungspartei UMP sein Buch auf ihrer Internetseite bewirbt, und er bezeichnet sich offen als Sympathisanten von Innenminister Nicolas Sarkozy. Aber die härteren Themen der Rechten bleiben ausgespart: Souveränität, Identität, Religion. Damit schwächt er seine Position im "Kulturkampf", hält sich allerdings Schwierigkeiten vom Leibe, die auch mit dem Tabu des Rechts-Seins zusammenhängen.

Man sollte diesen Akt der Vorsicht zuletzt nicht überbewerten, denn es wäre schon viel gewonnen, wenn in Deutschland ein ähnliches Buch wie Brunets vorläge. Da das Rechts-Sein zweifellos kein ausschließlich französisches Tabu ist, gäbe es hier erheblichen Spielraum für Recherche und Interpretation. Auf einigen Feldern käme man sicher zu ganz ähnlichen Beobachtungen. Manche Verhältnisse erscheinen im eigenen Land noch übler, manche aber auch harmloser.

In jedem Fall gilt das, was Brunet im Schlußteil seines Buches formuliert, nämlich, daß die "Rekonstruktion" der Rechten eine große Baustelle erforderlich macht, und: "Die einzige Sicherheit ist, daß diese Rechte wieder offen hervortreten und nicht länger die Augen demütig niederschlagen will und das schändliche Ghetto verlassen, in dem sie geschickte Ideologen seit sechzig Jahren festzuhalten wußten."

Eric Brunet: Etre de droite - un tabou français. Albin Michel, Paris 2006, kartoniert, 270 Seiten, 18 Euro


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