© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

Die Nato vor Mütterchen Rußlands Haustür
USA: Gute Beziehungen zu Moskau müssen für Amerika weiter ein außenpolitischer Imperativ sein / Zurück zu Reagan und Bush sen.
Patrick J. Buchanan

Eine linde Antwort stillt den Zorn", lehrt die Bibel (Sprüche 15,1). Offenbar beherzigt der neue US-Verteidigungsminister Robert Gates diesen Vers. Seine Antwort auf den eiskalten Windstoß, den ihm Wladimir Putin jüngst auf der Münchener Sicherheitskonferenz entgegenblies, zeugte von Souveränität. "Als alten Kalten Krieger" habe ihn Putins Rede "beinahe mit Nostalgie nach einer weniger komplexen Zeit erfüllt", sagte Gates, um noch einmal zu betonen: "Beinahe." Der ehemalige CIA-Direktor zeigte Verständnis für Putin: "Auch ich habe eine Laufbahn im Spionagegeschäft hinter mir. Und alte Spione haben wohl die Gewohnheit, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Freilich war ich im Umerziehungslager, indem ich die letzten viereinhalb Jahre Universitätspräsident war und mit den Professoren zurechtkommen mußte."

Gates kündigte an, nach Moskau zu reisen, um Gespräche mit dem alten KGBler zu führen, der etwa zur selben Zeit wie sein amerikanischer Amtskollege George W. Bush als Staatsoberhaupt abtreten wird. Hervorragend. Ein historischer Fehltritt der amtierenden US-Regierung lag nämlich darin, ein Land feindselig zu stimmen, dessen Freundschaft zu den bedeutenden politischen Errungenschaften von Ronald Reagan und George H. W. Bush gehörte. Diesen Schaden wiedergutzumachen, ist ein außenpolitischer Imperativ.

Was haben wir getan, um Rußland zu verärgern? Nach dem Ende des Kalten Krieges ergriffen die USA ihren "unipolaren" Moment als einzig verbliebene Supermacht, um sich auf Kosten Rußlands geopolitische Vorteile zu verschaffen. Obwohl die Rote Armee freiwillig aus Osteuropa abgezogen war und Moskau davon ausging, daß die USA im Gegenzug keine Osterweiterung der Nato betreiben würden, nutzten wir die Gunst der Stunde.

Was haben wir getan, um Rußland zu verärgern?

Nicht genug damit, daß wir Polen in die Nato brachten, es folgten Lettland, Litauen und Estland sowie fast sämtliche Länder des Warschauer Pakts. Damit stand die Nato vor Mütterchen Rußlands Haustür. Aktuell sind Planungen im Gang, die Ukraine und den Kaukasus-Staat Georgien, Stalins Heimat, aufzunehmen. Zweitens finanzierten die USA eine Pipeline, die Öl aus dem Kaspischen Meer unter Umgehung Rußlands von Aserbaidschan über Georgien in die Türkei befördern soll. Drittens hat Putin zwar der Nutzung von Militärstützpunkten in den ehemaligen Sowjetrepubliken zum Zweck der Befreiung Afghanistans zugestimmt. Doch nun scheinen die USA daraus auf Biegen oder Brechen permanente Stützpunkte in Zentralasien machen zu wollen.

Viertens hat Bush ursprünglich behauptet, der geplante Raketenschutzschild richte sich gegen Schurkenstatten wie Nordkorea. Jetzt aber stellt sich heraus, daß die USA Raketenabwehrsysteme in Osteuropa stationieren wollen. Gegen wen werden diese gerichtet sein? Fünftens haben wir über die 1983 unter Ronald Reagan gegründete halbstaatliche Non-Profit-Organisation National Endowment for Democracy sowie ihre republikanischen und demokratischen Ableger, das National Democratic Institute for International Affairs und das International Republican Institute, über steuerfreie Thinktanks, Stiftungen und "Menschenrechts"-Institute wie Freedom House unter Leitung des Ex-CIA-Direktors James Woolsey in Osteuropa, den einstigen Sowjetrepubliken und Rußland selber Regimewechsel geschürt. In Serbien, der Ukraine und Georgien sind Revolutionen mit finanzieller Unterstützung der USA gelungen, in Weißrußland gescheitert. Inzwischen hat Rußland ausländischen Organisationen, denen es nicht ohne Berechtigung subversive Aktivitäten gegen Moskau-freundliche Regime vorwirft, gesetzliche Einschränkungen auferlegt.

Die goldenen Zeiten des US-Empire sind vorbei

Sechstens bestraften die USA Serbien für die Weigerung, seine rebellische Provinz Kosovo loszulassen und der Nato Durchmarschrechte durch ihr Territorium zu gewähren, um diese Provinz zu besetzen, mit einem 78tägigen Bombardement. Mütterchen Rußland nimmt seit jeher mütterlich Anteil am Schicksal der orthodoxen Balkanstaaten.

Soweit Putins Beschwerden (siehe auch JF-Seite 8). Hat er völlig unrecht damit? US-Senator Joe Lieberman kritisierte die "Kalte-Krieg-Rhetorik" des russischen Präsidenten. Aber haben die USA nicht Maßnahmen ergriffen, die man in aller Fairneß als Kalte-Krieg-Aktionen bezeichnen kann?

Wie würden wir reagieren, wenn China ein militärisches Bündnis mit Kuba, Nicaragua und Venezuela schlösse, Mexiko dazu brächte, unter Umgehung der USA Öl nach Peking zu verkaufen, und anfinge, sich in die inneren Angelegenheiten von Staaten in Zentralamerika und der Karibik einzumischen mit dem Ziel, Wahlniederlagen US-freundlicher Regime herbeizuführen? Wie würden wir auf eine russische Initiative reagieren, Raketenabwehrsysteme in Grönland zu stationieren?

Gates sagte, wir haben einen Kalten Krieg hinter uns und wollen keinen zweiten. Doch nicht Moskau ist es, das einen Militärpakt bis an unsere Grenzen ausdehnt oder Stützpunkte und Raketenabwehrsysteme in unseren Vorder- und Hinterhöfen errichtet. Warum tun wir das? Die USA werden Rußland nicht Estlands wegen den Krieg erklären. Wie würden wir kämpfen mit einer Armee, die jetzt schon unter zwei Aufständen "zusammenbricht"? Moskau und St. Petersburg bombardieren?

Genauso wie wir uns vorgemacht haben, daß der Irak-Krieg ein "Kinderspiel" und im gesamten Mittleren Osten die Demokratie ausbrechen würde, daß wir in Bagdad freudig willkommen geheißen würden, genauso hat das heutige Amerika Verpflichtungen übernommen, die aus dem Zweiten Weltkrieg und seiner Folge stammen und zu deren auch nur annähernder Erfüllung uns die Ressourcen wie der Wille fehlen. Wir leben in einer Welt voller Selbsttäuschung. Irgendwann im Laufe dieses Präsidentschaftswahlkampfes muß uns jemand zur Erde zurückbringen. Die goldenen Zeiten des amerikanischen Empire sind vorbei.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".

Foto: Pentagon-Chef Gates in München: Kein Blatt vor den Mund nehmen


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