© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

Scheitern als Chance
Die Kunst der Niederlage: Zum Todestag Ernst Jüngers
Rainer Hackel

Als Ernst Jünger 1982 den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main erhielt, wurde er von seinen Gegnern als Kriegsverherrlicher, Antisemit und Wegbereiter des Faschismus angeprangert. In Frankreich dagegen hatte man Jünger schon länger als kühlen Zeitdiagnostiker und großen Stilisten geschätzt.

Die damaligen Proteste vor der Paulskirche und in den Medien standen auch im Widerspruch zum Stand der literaturwissenschaftlichen Forschung, denn Karl Heinz Bohrer hatte in seinem 1978 erschienenen Buch "Ästhetik des Schreckens" gezeigt, daß Jüngers Frühwerk in der produktiven Auseinandersetzung mit Autoren der Décadence wie Poe, Rimbaud, Huysmans und Baudelaire entstanden ist und kulturkritische Relevanz besitzt. Bohrers Unterfangen, Jünger als Repräsentanten der literarischen Moderne zu interpretieren, leitete einen Paradigmenwechsel in der Beurteilung des Schriftstellers ein. Dem folgte nicht nur Martin Meyer mit seiner 1990 veröffentlichten Monographie über Jünger, sondern auch die Autoren des Bandes "Ernst Jünger. Politik-Mythos-Kunst" schließen sich in differenzierter Weise der neuen Deutung an.

Der bei de Gruyter erschienene und von dem Literaturwissenschaftler Lutz Hagestedt (46) herausgegebene Sammelband enthält die Beiträge des im November 2002 in Marburg abgehaltenen internationalen Ernst-Jünger-Symposiums. Die Autoren setzen sich mit einzelnen Werken des am 17. Februar 1998 verstorbenen Jahrhundertschriftstellers auseinander, vergleichen Jünger mit anderen zeitgenössischen Schriftstellern wie Gottfried Benn und Bert Brecht oder versuchen, die Kontinuität von Grundmotiven und Gedankenfiguren im Gesamtwerk Jüngers nachzuweisen.

Uneins sind sich die Autoren in der Frage nach der Aktualität von Jüngers Autorschaft. Während Tom Kindt und Hans-Harald Müller zu dem Schluß gelangen, daß Jünger "uns nicht mehr viel zu sagen hat", weist Karl Prümm darauf hin, daß Jünger in der neueren Medientheorie nicht nur höchst präsent ist, sondern sogar "zum Kronzeugen der heraufziehenden Medienmoderne und zur Stifterfigur eines ganz spezifischen Mediendenkens erhoben" wird, das durch Autoren wie Paul Virilio, Norbert Bolz und Friedrich Kittler repräsentiert werde. Der französische Philosoph Virilio etwa bezieht sich bei seiner Analyse der visuellen Gewalt moderner Medien ausdrücklich auf Jüngers "In Stahlgewittern".

Ernst Jüngers Tagebücher, Essays, Romane und Erzählungen enthalten eine schier unüberschaubare Fülle an Beobachtungen, Einsichten, Reflexionen, Perspektiven und Figuren. Dennoch gelingt es den Autoren aufzuzeigen, daß Jüngers Gesamtwerk von wiederkehrenden Gedankenfiguren durchzogen ist.

So spricht Steffen Martus von Jüngers Kunst der Niederlage, die darin bestehe, Mißerfolge in Erfolge umzumünzen. Zwar habe Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren, doch antizipiere der aus den Materialschlachten hervorgegangene Frontsoldat den soldatisch disziplinierten Typus des Arbeiters, der in Zukunft den Lauf der Geschichte lenken werde. Aber nicht nur in Jüngers zeitdiagnostischen Essays sei die Kunst der Niederlage die zentrale Gedankenfigur, auch in seinen Erzählungen und Romanen begreife Jünger das Scheitern seiner Protagonisten zugleich als deren Chance eines Neubeginns. Das gelte für die "Afrikanischen Spiele" und die "Mamorklippen", aber auch für späte Romane wie "Die Zwille" und "Eumeswil".

Die Frage nach dem Wesen der modernen Technik spielt in Jüngers "Arbeiter" (1932) eine entscheidende Rolle. Reinhard Wilczek weist in seinem Aufsatz über Fritz Langs "Metropolis" und Jüngers "Arbeiter" nach, daß sich viele Beschreibungen der technischen Welt aus Jüngers Essay auf Sequenzen des fünf Jahre zuvor gedrehten Metropolis-Films zurückführen lassen. Entsprechungen, so Wilczek, fänden sich aber auch im Hinblick auf den kultischen Charakter der mit der Technik verbundenen Arbeit. Sei für Jünger das Technische eine Macht, "in der das Kultische der Religion aufgeht", so besitze die Maschine in Langs Film einen "kultischen Grundzug", da sie von den Arbeitern mit "religiöser Inbrunst" bedient werde.

Rainer Zuch untersucht in seinem Beitrag "Kunstwerk, Traumbild und stereoskopischer Blick" Jüngers Verhältnis zur Kunst. Jünger habe sich nicht nur mit Malern der Vergangenheit wie Bosch, Breughel und Goya befaßt, sondern immer auch die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Künstlern gesucht, die er oft persönlich kannte. Zu nennen sind hier Kubin, Schlichter, Picasso und Nay.

Zuch betont, daß Jüngers Interesse an der Bildenden Kunst weniger kunstgeschichtlicher als geschichtsphilosophischer Natur gewesen sei. In einem Maler wie Picasso habe Jünger einen Magier am Werk gesehen, der "eine symbolische Verdichtung der unsichtbaren treibenden Kräfte des Weltgeschehens" zuwege gebracht habe. So habe Jünger nach seinem Besuch bei Picasso in Paris am 22. Juli 1942 in sein Tagebuch notiert, daß der Maler mit dem Blick in die Zukunft "das Bild des Menschen magisch voraus" sehe.

Der Sammelband "Ernst Jünger. Politik-Mythos-Kunst" ist nach den Arbeiten von Karl Heinz Bohrer und Martin Meyer ein weiterer Meilenstein in der modernen Jünger-Forschung. Jeder Kenner des Jüngerschen Werkes wird die Beiträge des Bandes mit Gewinn lesen.

Lutz Hagestedt (Hrsg.): Ernst Jünger. Politik-Mythos-Kunst. Walter de Gruyter, Berlin 2004, gebunden, 540 Seiten, 17 Abbildungen, 98 Euro


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