© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

"Freiheit ist wertlos ohne Ehre"
Ausstellung: Die Affäre Dreyfus - Antisemitismus um die Jahrhundertwende
Werner Olles

Man hatte ihm Spionage für Deutschland vorgeworfen, doch sämtliche angeblichen "Beweise" waren gefälscht. Der eigentliche Verräter, der Major i.G. Ferdinand Walsin-Esterhazy, war indes längst nach England geflüchtet, doch seine Schuld gestand er erst viel später ein. Der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus wurde hingegen Ende 1894 in einem spektakulären Spionageprozeß degradiert und von einem Militärgericht zu lebenslänglicher Haft auf der berüchtigten Teufelsinsel, der Ile du Diable, verurteilt. Über ein Dutzend Aufseher waren hier nur für ihn zuständig, des Nachts wurde er gar angekettet.

Nach vier elenden Jahren in einer schäbigen Hütte im Dschungel von Guayana war der frühere Hauptmann mit seiner Gesundheit am Ende und richtete ein Gnadengesuch an den Staatspräsidenten der Republik Frankreich, Émile Loubet. Der Revisionsprozeß in Rennes, fünf Jahre nach dem als "Affäre Dreyfus in die Geschichtsbücher eingegangenen Justizskandal, gab ihm zwar die Freiheit zurück, doch erklärte Dreyfus diese für "wertlos für mich ohne meine Ehre".

So mußten weitere sieben Jahre vergehen, bis am 12. Juli 1906 endlich seine volle Rehabilitation verkündet wurde. Unter dem Titel "Alfred Dreyfus" - Kampf um Gerechtigkeit. Politischer Antisemitismus und seine Abwehr in Europa" zeigt das Jüdische Museum Frankfurt nun eine vom Pariser Musée d'art et d'histoire anläßlich seiner Rehabilitation vor hundert Jahren konzipierte Ausstellung.

Tatsächlich hatte sich die französische Gesellschaft damals faktisch in zwei Lager gespalten: in "Dreyfusards" und in "Anti-Dreyfusards". Berühmte Schriftsteller wie Emile Zola stellten sich auf die Seite des Hauptmanns. Zolas offener Brief "J'accuse!" ("Ich klage an!"), der in der Tageszeitung L'Aurore veröffentlicht wurde und an den Präsidenten der französischen Republik gerichtet war, benannte den Antisemitismus als Ursache des Justizskandals und hatte eine gewaltige Wirkung. Binnen weniger Stunden waren bereits über 300.000 Exemplare der Zeitung verkauft. Zola mußte allerdings mit einem Jahr Gefängnis und einer empfindlichen Geldstrafe für seine Unbotmäßigkeit büßen, entzog sich der Haft jedoch durch seine Flucht nach England. Andere Dichter wie der sich als außerhalb der "Schweine-Gesellschaft" sehende Leon Bloy hielten sich dagegen zurück und ergriffen weder für die eine noch für die andere Seite Partei.

Die Ausstellung präsentiert nicht nur das Original von Zolas berühmtem offenen Brief, sondern auch verschiedene Karikaturen und Bilder aus französischen Zeitungen und Zeitschriften wie La Croix, Le Petit Journal oder La Libre Parole, die teilweise von antisemitischer Bösartigkeit nur so strotzen. Darüber hinaus wird die gesamte "Affäre Dreyfus" auf Texttafeln chronologisch dargelegt. Originaldokumente und persönliche Gegenstände aus der Habe des Hauptmanns vervollständigen dies. So kann man beispielsweise auch die Offizierslitzen sehen, die Alfred Dreyfus bei seiner Degradierung von der Uniform gerissen wurden, um dem zu Unrecht Verurteilten mit diesem Gewaltakt endgültig seine Ehre zu nehmen. Und welche Qualen der Gefangene auf der Teufelsinsel zu erdulden hatte, wird dem Besucher vollends klar, wenn er die im Jüdischen Museum nachgebaute Hütte sieht, in der Dreyfus vier lange Jahre bei unerträglich feucht-heißen Temperaturen vegetierte.

In gewisser Weise war der Schauprozeß um den jüdischen Hauptmann wohl auch der Auslöser für Theodor Herzls Hauptwerk "Der Judenstaat", das an der Wiege der Gründung des zionistischen Staates Israel stand. Herzl hatte nämlich für die Wiener Freie Neue Presse vom Dreyfus-Prozeß zu berichten und war unter dem Eindruck des um die Jahrhundertwende herrschenden Antisemitismus zu der Auffassung gelangt, daß nur ein eigener Staat die Juden langfristig vor ihren Feinden schützen könne.

In diesem Sinne war die "Dreyfus-Affäre" also nicht nur ein großes persönliches Unrecht für den überzeugten Patrioten und Offizier, der sich trotz aller Beleidigungen, Zumutungen und Demütigungen im Ersten Weltkrieg freiwillig an die Front meldete, sondern auch von einer nicht zu unterschätzenden weltgeschichtlichen Brisanz.

Die Ausstellung ist bis zum 15. April im Jüdischen Museum Frankfurt, Untermainkai 14/15, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 4 Euro, ermäßigt 2 Euro. Tel.: 069 / 2 12-3 50 00

Fotos: Hauptmann Alfred Dreyfus vor dem Kriegsgericht, gezeichnet von Henri Meyer für das Titelbild der Zeitschrift "Le Petit Journal", Paris, 23. Dezember 1894: Fünf Jahre nach Dreyfus' Verurteilung zur lebenslangen Verbannung auf die Teufelsinsel wurde das Strafmaß im Revisionsverfahren auf zehn Jahre reduziert. Schließlich begnadigte ihn der französische Präsident.


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