© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

Lieber nicht per Satellitenschüssel das Weite suchen
Denn das Gute liegt im heimatlichen "Nahbereich", versucht Dieter Andresen in seiner Vorstellung von Profilen aus seiner Region nachzuweisen
Torsten Wallner

Seit langem heimatet es sehr. Zwar sind immer wieder moderate Rezessionen zu beobachten, aber insgesamt braucht man sich um die stabile Konjunktur des Medienthemas "Heimat" nicht zu sorgen. Man muß auch kein Prophet sein, um voraussagen zu können, daß sich daran in absehbarer Zukunft nichts ändern wird. Denn, wie Hermann Lübbe schon in den Geburtsjahren der "grünen Bewegung" und des "neuen Regionalismus" trocken konstatierte, "Heimat" ist ein Kompensationsphänomen. Je weniger die moderne Industriegesellschaft "Heimat" real zuläßt, desto stärker die Energien, die sich auf ideelle "Verortung" richten.

Die Aufsatzsammlung "Kraftfeld Heimat" des Schleswiger Pastors Dieter Andresen ist eine treffliche Bestätigung von Lübbes Kompensationstheorie. Gesteht der Autor doch schon im Vorwort unumwunden ein, daß nicht nur die norddeutsche Provinz unter den "Folgeschäden der Globalisierung", unter "sozialer Kälte, Kulturverfall und Identitätsverlust" leide. Das Plattdeutsche als Regionalsprache des Nordens und wesentlicher Teil heimatlicher Identität sei ohnehin "nicht mehr zu retten", und zwar nicht allein deswegen, weil die "Satellitenschüssel am Reetdachhaus" signalisiere, daß die Landbevölkerung an Nord- und Ostsee noch "im innersten Nahbereich" lieber "das Weite suche".

Und trotzdem will sich der rüstige Ruheständler gegen die "nivellierenden Kräfte der Gegenwart" stemmen, indem er zur Besinnung auf regionale geistige Traditionen einlädt. Also weg von der Satellitenschlüssel und 'ran ans Bücherregal. Dort haben es dem gebürtigen Angeliter Andresen vor allem zwei Nordfriesen angetan, der Philosoph Friedrich Paulsen und der "Vater der deutschen Soziologie", Ferdinand Tönnies. Paulsen war ein bedeutender Historiker des deutschen Bildungswesens ("Geschichte des gelehrten Unterrichts", 1885), lange bevor es zum "Pisa"-Patienten herabsank. Tönnies ist als Verfasser eines geradezu kanonischen Textes, der den modernen Heimatverlust schlagwortartig im Titel führt: "Gemeinschaft und Gesellschaft" (1887), noch heute nicht vergessen. Wenn er Ende des 19. Jahrhunderts befand, Gemeinschaft war früher, Gesellschaft sei jetzt, dann akzeptieren Soziologen auch 2007 dies noch als zutreffende Zeitdiagnose. Was allerdings das Werk dieser beiden Exponenten einer von Andresen so genannten "Philosophia Frisionum" zur Aufladung seines "Kraftfeldes Heimat" beitragen könnte, behält ihr Bewunderer eher für sich.

So gelangen seine essayistischen Porträts insgesamt leider nicht über eine konventionelle, wenn auch äußerst anregende, neugierig machende Vergegenwärtigkeit von halb versunkenen Bildungsgütern hinaus. Das trifft auch für die übrigen "Profile des Nordens", die von großer Belesenheit zeugenden biographischen Skizzen zu, die uns Klaus Groth, Theodor Storm, Matthias Claudius oder Friedrich Hebbel wieder näherbringen wollen. Wie man sich mit ihrer Hilfe der entortenden, heimatverbrauchenden "Monotonisierung der Welt" (Stefan Zweig) verweigern kann, welche Bedeutung dabei dem oft bemühten Brückenschlag zur christlichen Religion zukommt ("Tönnies und Karl Barth"), verrät Andresen vielleicht in einem Folgeband. Der vorliegende läßt jedenfalls nur jene Leser wunschlos glücklich zurück, die ein Faible für schöne Buchgestaltung haben. 

Dieter Andresen: Kraftfeld Heimat. Profile des Nordens. Books on demand, Norderstedt 2006, gebunden, 487 Seiten, Abbildungen, 38 Euro


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