© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

Trotzdem: Preußen!
Zehn Thesen zum Preußischen Typus, zum Wahlpreußen und zum Staat
Götz Kubitschek

These 1:

Zum "Preußischen Typus" wird man heute nicht mehr durch Geburt in einen Staat hinein und die daraus zwangsläufig resultierende Staatserziehung, sondern durch Wahl. Den Wahlpreußen gibt es, seit es Preußen gibt - und darüber hinaus noch immer, obwohl Preußen nicht mehr ist.

These 2:

Der Wahlpreuße von heute hat keinen Ort mehr. In unserem Staat, der das Gegenteil von Preußen ist, kann der Wahlpreuße nicht gedeihen. Die Staatserziehung ist heute gegen den preußischen Geist und damit gegen den Staat an sich gewendet.

These 3:

Der Zielpunkt des Wahlpreußen von heute muß dennoch der Staat mit seinen Institutionen bleiben. Ein privates Preußentum ist Folklore. Auch dem Wahlpreußen von heute muß es darum gehen, das Verhältnis von Staat und Individuum in eine für die Nation fruchtbare Balance zu bringen.

These 4:

Bei diesem Unterfangen steht der Wahlpreuße von heute vor einem grundsätzlichen Dilemma: Er folgt seiner Neigung, den Staat und seine Institutionen zu tragen und zu würdigen. Aber er trägt und würdigt damit ein Gebilde, das ihm seinen Dienst mit Gelächter und Ohrfeigen quittiert.

These 5:

Auf Gelächter und Ohrfeigen könnte man mit Gelächter und Ohrfeigen antworten, wenn dies ausreichte, um die falschen Leute aus den würdigen Institutionen zu treiben. Aber es ist viel schlimmer: So, wie unser Staat gebaut ist, ist er kaum zu stabilisieren. In seinen Fundamenten finden sich viele Einschlüsse, die der Nation das Verderben bringen. Und er zerstört durch seine derzeitige Politik die Substanz des deutschen Volkes, das ohne Wenn und Aber die Grundlage einer deutschen Zukunft ist.

These 6:

Der Wahlpreuße von heute muß im Blick auf diesen Staat aufhören, sich wie ein Preuße zu benehmen. Wenn er es nicht tut, wird er zur lächerlichen Figur. Er wird zum nützlichen Idioten, der weiterhin stabilisiert, was andere mit seiner Unterstützung noch etwas länger und etwas ertragreicher aussaugen können.

These 7:

Die angemessene Haltung des Wahlpreußen von heute dem Staat gegenüber ist die des Getreuen, der die Idee vor der Wirklichkeit retten möchte. Er muß den Tabubruch, den gezielten Regelverstoß, den zivilen Ungehorsam, die Respektlosigkeit als politische Waffe einüben und einsetzen. Er muß bekämpfen, was den Staat zerstört und die Nation kastriert. Das bedeutet nichts anderes, als daß er den Staat von seinen abträglichen Institutionen befreit, ohne die Institution an sich in Frage zu stellen.

These 8:

Wenn der Wahlpreuße von heute so verfährt, bleibt er kein Preuße. Das Dilemma zwischen gelebtem Anarchismus und innerem Ordnungswunsch wird ihn zersprengen. Er muß, um effektiv anarchistisch und revolutionär zu sein, seine Neigung zu Respekt, Ordnung und Stabilität ablegen wie die Uniform eines fremden Staates. Ob er nach getaner Tat zur Ordnung zurückfinden kann, ist nicht gewiß: Die Verletzung der Ordnung - und sei es eine so falsche wie die unseres heutigen Staats - wird den Wahlpreußen selbst verwundet zurücklassen.

These 9:

So bleibt dem Wahlpreußen von heute in seinem Verhältnis zum Ganzen des Staats nur die Wahl zwischen komischer Figur und Selbstverleugnung. Ein Drittes ist nur denkbar, wenn der Wahlpreuße die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen um ein wiederherstellbares Ganzes einsieht. Denn vor der allgemeinen Neigung zum Dienst am Staat stünde der allgemeine Zwang einer Erziehung zum Dienst. Diesen Zwang aber kann heute keiner mehr ausüben: nicht die Schule, nicht das Militär, niemand im Staat, nicht im Zeitalter der offenen Grenzen und der internationalen Gerichtshöfe. Selbst die familiäre Erziehung steht in dieser Hinsicht auf des Messers Schneide: Zu gering ist der Zwang für die Kinder, sich irgendwann einmal in der Sippe zu verorten. Sie können auch einfach gehen.

These 10:

Der Wahlpreuße von heute tut gut daran, seinen Blick vom Staate abzuwenden und sich andere, kleinere Bezugsgrößen zu suchen. Er ist derjenige, der die Insignien in Sicherheit bringt. Der Personalverband ist sein Ort. Er trägt ein preußisches Gesicht, wenn er auf der Überzeugung gegründet ist, daß es etwas spezifisch Deutsches gibt und daß dieses Deutsche bewahrt werden muß. Die Lage ist ernst: Unsere Nation wird in wenigen Jahrzehnten nicht wiederzuerkennen sein und ihr deutsches Gesicht in vieler Hinsicht verloren haben. Gegen diese Vorgänge muß der Wahlpreuße sein bewahrendes "Trotzdem!" setzen: Uns wird es immer geben! Es ist dies ein starker, trotziger Satz, aber um nichts anderes kann es dem Wahlpreußen gehen: um immer wieder neue Versuche, heute in Deutschland stolz zu leben. Wer dies begreift, der wird die Zukunft nicht mehr bei den nützlichen Idioten suchen. Und er wird einen nationalen Anarchisten im Zweifelsfalle als einen verzweifelten Preußen verstehen. 


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