© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Kolumne
Falsches Reden und falsches Schweigen
Klaus Motschmann

Die Auseinandersetzungen in den letzten Wochen um die vorzeitige Haftentlassung von RAF-Terroristen vermitteln in zunehmendem Maß den Eindruck, daß sie nicht auf Klärung zahlreicher noch immer offener Fragen abzielen, sondern auf Verklärung eindeutiger Fakten.

Das politische Wahrnehmungsvermögen wird damit erheblich beeinträchtigt. Etwa durch die Feststellung, daß die meisten Inhaftierten „weder Einsicht noch Reue“ zeigten. Schuldvergebung setze aber Schuldbekenntnis voraus. Das ist richtig, aber eben nur im Sinn der sogenannten „bürgerlichen“ Werteordnung, die von den 68ern und erst recht von der RAF massiv bekämpft wurde. Derartige Begriffe haben in der politischen Vorstellungswelt der RAF keinen Platz, sieht man einmal von Ausnahmen ab.

Weshalb also eine derartige Äußerung? Kann man auch Feigen lesen von Disteln? Welche Veranlassung zur „Einsicht und Reue“ sollten die RAF-Terroristen haben, da sie sich doch guten Gewissens als Vollstrecker eines vermeintlichen „Naturrechts auf Widerstand“ verstanden haben. Sie konnten sich für diese Überzeugung auf namhafte Intellektuelle in Wissenschaft und Kirchen, Medien und sonstigen Institutionen der Bewußtseinsbildung berufen.

Aus der Fülle von Beispielen nur eine Erinnerung an Herbert Marcuse: „Den kleinen und ohnmächtigen Gruppen, die gegen das falsche Bewußtsein kämpfen, muß geholfen werden: Ihr Fortbestehen ist wichtiger als die Erhaltung mißbrauchter Rechte und Freiheiten, die jenen verfassungsmäßige Gewalt zukommen lassen, die diese Minderheiten unterdrücken. Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte. Da man sie schlagen wird, kennen sie das Risiko; und wenn sie gewillt sind, es auf sich zu nehmen, hat kein Dritter und am allerwenigstens der Erzieher und Intellektuelle das Recht, ihnen Enthaltung zu predigen.“

Wichtiger für die Bewältigung dieser Vergangenheit ist deshalb die Antwort auf die Frage, ob diese Wegbereiter und Sympathisanten endlich nicht auch öffentlich „Reue und Einsicht“ zeigen. Sie könnten damit ein überzeugendes Zeichen der Umkehr auf einem Irrweg setzen, für den sie durch „falsches Reden und falsches Schweigen“ mitverantwortlich sind. Ein derartiges „Outing“ würde zur Klärung mancher offenen Frage beitragen und eine realistische Orientierung für die Zukunft ermöglichen.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste Berlin.


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