© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Das Gefühl des politischen Auftrags
Anschwellende Diskussion über die Opferzahlen zum Jahrestag des Angriffs auf Dresden am 14. Februar 1945 / Kritiker der Kommission werden diffamiert
Joachim von Leesen

Niemand hat Hunderttausende von Toten wirklich gesehen.“ Eine solche Argumentation gegen die Befürchtung, die Zahl der Opfer der britischen und US-amerikanischen Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 hätte eine sechsstellige Größenordnung erreicht, ist ebenso peinlich wie politisch und juristisch gefährlich, könnte ein solches Argument doch auch auf andere Opferzahlen angewendet werden. Außerdem ist sie demagogisch. Sie bezeichnet aber die Haltung des Chefs der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Luftkriegstoten, des Potsdamer Historikers Rolf Dieter Müller. Daß dann die Welt (Ausgabe vom 13. Februar 2007) diesen Lapsus Müllers noch als Überschrift des sehr umfangreichen Interviews benutzt, zeugt von Instinktlosigkeit.

Die zuletzt aus dreizehn Mitgliedern bestehende Kommission wurde im November 2004 ins Leben gerufen. Von Anfang an litt sie unter den Vorgaben, die der Oberbürgermeister gemacht hatte, als er erklärte, der Zweck dieser Kommission sei es, den „Rechtskonservativen und neonationalistischen Kreisen“ den Wind aus den Segeln zu nehmen, die den bisher offiziösen Opferzahlen von etwa 35.000 nicht trauten. So entstanden Zweifel, ob die Kommission wirklich ergebnisoffen arbeiten können (wir berichteten mehrfach, zuletzt JF 48/06).

Sie werkelte bis Juli des vergangenen Jahres vor sich hin, ohne daß handfeste Ergebnisse öffentlich bekannt wurden. Ab und zu preschte der Vorsitzende Müller vor und erklärte, es dürften wohl nur 25.000 Tote gewesen sein, dann relativierte er, indem er das Wort „mindestens“ davorsetzte und gelegentlich auch „plus 20 Prozent“ anhängte. Er konnte es nicht lassen, mehrfach darauf hinzuweisen, daß das Ergebnis seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit eine Widerlegung der von vielen deutlich höher eingeschätzten Opferzahlen sein werde.

Dann stoppte plötzlich im Juli 2006 der Finanzausschuß des Dresdner Stadtrates die Zahlungen an die Kommission, deren Vorsitzender weitere 200.000 Euro beantragt hatte, Dresden benötige das Geld zu anderen Zwecken, hieß es. Man erfuhr auch, daß viele unzufrieden seien mit dem bisher mageren Ergebnis der eineinhalbjährigen Kommissionsarbeit, aber es geschahen Zeichen und Wunder: Im November 2006 entschied der Stadtrat, die Kommission möge die Arbeit wieder aufnehmen, und stellte 90.000 Euro zur Verfügung. Nach weiteren knapp drei Monaten aber begann der Vorsitzende Müller sein altes Spiel. Er ließ die Öffentlichkeit wissen, man könne schon jetzt davon ausgehen, daß das Ergebnis der Untersuchung sich auf nicht mehr als 25.000 Tote belaufen werde. Wenige Tage später war der Tagespresse zu entnehmen, es seien „mindestens 25.000 plus/minus 20 Prozent“. Genau das aber hatte Müller auch schon der Öffentlichkeit verkündet, bevor der Stadtrat den Geldhahn abdrehte. Die Kommission hatte also immer noch nichts bewegt.

Müllers Behauptungen mit Nähe zur Propaganda

In der Berichterstattung – so auch im Welt-Interview mit Sven Felix Kellerhoff – wird die Seriosität der Forschung immer wieder mit Müllers Reputation als Wissenschaftlicher Direktor beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) unterstrichen. Allerdings läßt die bisher immer wieder erfolgte Vorwegnahme eines Ergebnisses ohne abschließende Quellenerfassung gerade in diesem Fall Erinnerungen an die am MGFA wirkende „Rote Zelle“ wachwerden, die mit den Namen Manfred Messerschmidt, Wolfram Wette, Hans Erich Volkmann, Wilhelm Deist verbunden sind. Kritiker warfen den inzwischen pensionierten Militärhistorikern eine unwissenschaftliche Arbeitsweise vor. Oder wie es der ARD-Panorama-Redakteur Rüdiger Proske in einer Streitschrift formulierte, diesen Forschern ging es „nicht um die Erkenntnis der historischen Wissenschaft, (...) sondern um die volkspädagogische Absicht – im Sinne einer ganz bestimmten Ideologie, um den Mißbrauch der Wissenschaft zu politischen Zwecken“.

Auch in seinem neuesten Interview hat Müller wiederum Behauptungen mit Nähe zur Propaganda nicht unterdrücken können. So setzt er jene, die von höheren Verlustzahlen ausgehen, gerne in den Ruch einer NS-Nähe: „Schon gleich nach den Angriffen hat die Nazi-Propaganda ihren letzten Erfolg feiern können. Das weltweite Ansehen der Kulturstadt ließ sich bestens für die Hetzpropaganda gegen die Alliierten nutzen.“ Tatsächlich hat damals keine amtliche Stelle irgendwelche Opferzahlen aus Dresden veröffentlicht. Natürlich wurde darauf hingewiesen, daß der Angriff auf die wehrlose und mit Flüchtlingen bevölkerte Kulturstadt Dresden eine Barbarei war, wie überhaupt der gegen die Zivilbevölkerung gerichtete alliierte Luftkrieg vom Anfang an ein monströses Kriegsverbrechen war.

Es ist zu wünschen, daß der Vorsitzende seinen Drang, sich politisch korrekt zu äußern, zügelt und daß die Kommission endlich konkrete Forschungsergebnisse vorlegt. So fehlt immer noch jede Antwort auf die Fragen, wie viele Flüchtlinge aus Schlesien sich in der Stadt aufhielten und ob es Tieffliegerangriffe auf die Zivilbevölkerung gab oder nicht. Solange die staatlich alimentierte Kommission dazu nicht Konkretes präsentiert, gewinnt die Arbeit privater Forscher wie beispielsweise des Genfer Völkerrechtlers Alfred de Zayas, die sich an der Spitze einer internationalen Forschergruppe mit großem Engagement und ohne öffentliche Gelder Einzelfragen (völkerrechtliche Grundlage des Bombardements) annehmen, höheren Stellenwert. Zum Dank muß sich de Zayas dafür vom Welt-Journalisten Kellerhoff als „Laienforscher, und in die Nähe rechtsextremer Kreise abgerutschter Völkerrechtler“ diskriminieren lassen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen