© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Meldungen

Zur kritischen Lage der fragmentierten Nation

BERLIN. Jährlich wächst die nun als „Prekariat“ getarnte bundesdeutsche Unterschicht. Sozialwissenschaftlern ist dies bekannt. Die im letzten Herbst veröffentlichte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, wonach jeder zwölfte Deutsche zum „abgehängten Prekariat“ zähle, erregte in diesen Kreisen daher kein Erstaunen. Auf das „Problem der unteren Schichten“ in einer „fragmentierten Gesellschaft“ konnte man daher prompt und mit altbewährten Rezepten reagieren, wie das letzte Heft der Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik (vorgänge, 4/06) ausweist. Mit der „geschlossenen Gesellschaft“ unserer „Eliten“ scheint man sich abzufinden. Um den dadurch beförderten inneren Zerfall wenigstens hinauszuzögern, plädiert Katrin Mohr für ein „bedingunsloses Grundeinkommen“, während Dieter Althaus eine konkrete Zahl nennt: 800 Euro, die er mit der ultimativen Forderung verbindet: „Das heutige Sozialsystem muß durch ein solidarisches Bürgergeld abgelöst werden.“ Wie die Studie von Dirk Halm und Martina Sauer zeigt, wird auch dies im Zentrum der Auflösung nichts helfen. Denn ihre „aktuellen Befunde zur Integration türkeistämmiger Migranten“ stehen unter dem unmißverständlichen Titel „Desintegration und Parallelgesellschaft“.

 

Europa in uns entdecken und Auschwitz schauen

BERLIN. Im Vorfeld der anstehenden Jubiläumsfeiern zur Unterzeichnung der Römischen Verträge (25. März 1957) soll offenbar das fehlende „europäische Bewußtsein“ noch schnell herbeigeschrieben werden. So jedenfalls muten die Schüleraufsätze an, die in der Internationalen Politik (1/2007) auf das Ereignis einstimmen. Neben der „Atlantikerin“ Ulrike Guerot, die Deutschland auffordert, die Franzosen endlich aus ihrer europapolitischen „Schmollecke“ zu holen, fällt die Würzburger Juristin Alexandra Kemmerer besonders peinlich auf mit ihrem Angebot, „Europa in uns“ zu entdecken. Daß diese Innenschau dann schließlich auf die Gedächtnispolitik des New Yorker Politologen Tony Judt verpflichtet werden soll, überrascht mittlerweile nicht mehr. Wie Dan Diner (JF 5/07), möchte Judt Europa „aus den Krematorien von Auschwitz bauen“ und die Europäer „in dieser schrecklichen Vergangenheit zusammenschließen“.

 

Hochschulpolitik 1933: Statistischer Jokus

MÜNCHEN. Der durch die NS-Machtergreifung bewirkte personelle Aderlaß der deutschen Hochschullehrerschaft wird in der zeithistorischen Forschung mit etwa einem Viertel des Personalbestandes vom 1. April 1933 angegeben. Die Angaben schwanken mitunter, es sind wie auch in den größeren „Zahlenkriegen“ um die Opfer des Holocaust, der Vertreibung oder des Luftterrors höhere und niedrigere Zahlen im Spiel. Mit großen Aplomb kündigt daher der Berliner Wissenschaftshistoriker Michael Grüttner an, er werde wenigstens auf diesem Terrain endlich exakte Angaben und ein „vollständiges Bild“ liefern (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1/07). Tatsächlich liegt seine Berechnung (20,7 Prozent) dann nur unwesentlich unter dem bekannten Durchschnittswert. Und sie belegt zugleich, wie Statistik zur Schaumschlägerei gerät. Denn untersucht wurden nur 15 von 23 Universitäten, darunter nicht der viele jüdische Dozenten aufweisende Breslauer Lehrkörper. Technische und Handelshochschulen fanden ohnehin keine Beachtung. Eine „präzise rekonstruierte“ (Eigenlob) Untersuchung des „brutalen wie systematischen“ NS-Eingriffs in die deutsche Hochschullandschaft sieht denn auch wohl anders aus.

 

Erste Sätze

Der ganze Strand war in Aufregung.

Georg Reicke, Das grüne Huhn. Roman, Leipzig / Berlin, 1902


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