© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

"Dem Zeitgeist ergeben"
Ist die EKD noch eine christliche Kirche? Ex-SPD-Politiker Hans Apel gehört zu ihren prominentesten Kritikern
Moritz Schwarz

Herr Professor Apel, die Evangelische Kirche in Deutschland versucht angestrengt, sich zu berappeln: "Impulspapier", "Zukunftskongreß", Profilierung gegenüber dem Islam und "Zurück zum Glauben"-Politik sind die jüngsten Maßnahmen. Kann Sie das dazu bringen, zur Amtskirche zurückzukehren?

Apel: Nein, für meine Begriffe spricht aus dieser "Kehrtwende" lediglich die nackte Existenzangst. Denn laut Prognose steht der EKD ein Schwund von heute noch gut 25 Millionen auf nur 17 Millionen Mitglieder im Jahr 2030 bevor.

Auch wenn es sich um taktische Maßnahmen handelt, könnten sie nicht langfristig doch zu einer inneren Umkehr führen?

Apel: Mag sein, bisher verschweigt uns aber die EKD, was sie meint, wenn sie von Glaube spricht. Außerdem muß man sich darüber im klaren sein, daß wir in einigen Landeskirchen inzwischen eine Pfarrerschaft haben, von der ein Großteil, sollte die Kirche tatsächlich einmal wieder einen klaren protestantischen Kurs einfordern, nicht "mitspielen" würde.

Sie sind 1999 aus der Nordelbischen Landeskirche ausgetreten.

Apel: Das Maß war voll. Eine Reihe von Landeskirchen hat sich dem Zeitgeist ergeben. Die kirchliche Trauung homosexueller Paare hat uns davon überzeugt, daß wir dieses Treiben nicht mehr finanzieren dürfen. Dieser Schritt zerstört 2.000 Jahre Christentum und macht die Gebote unseres Herrn und die Vorgaben des Apostel Paulus zur Makulatur. Dafür maßt sich die EKD politische Urteile an, vom Ladenschluß am Sonntag bis zur Zuwanderung, für die sie weder ein Mandat noch den erforderlichen Sachverstand hat.

Gern äußern sich die Kirchenvertreter auch zum Beispiel zum "Kampf gegen Rechts".

Apel: Ich erinnere mich an den Fall Hohmann. Ich halte Hohmann für einen naiven Menschen, der getan hatte, was Politiker nie tun dürfen: Er hatte nicht fälschungssicher formuliert. Daß die CDU ihn ausgeschlossen hat, ist ihre Sache. Daß aber auch Bischof Huber über ihn hergefallen ist, ist ein Skandal.

Was ist Ihr Fazit? In der EKD findet sich der Glaube nicht mehr?

Apel: Was bedeutet es, wenn der Ratsvorsitzende Huber erklärt, künftig "den Kern des christlichen Glaubens wieder ins Zentrum zu rücken"? Daß er sich dort schon lange nicht mehr befindet? Die christliche Essenz des Neuen Testaments ist in manchen Landeskirchen zu einem dünnen Aufguß geworden. Man darf das Problem also nicht auf Huber reduzieren: Bischöfe wie Maria Jepsen in Hamburg, Bärbel Wartenberg-Potter in Lübeck, der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, oder der der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Peter Steinacker, haben ganz eindeutig die christlichen Kernaussagen hinter sich gelassen.

Dennoch meinen Sie, Bischof Huber könnte für eine Umkehr sorgen?

Apel: Natürlich begrüße ich zum Beispiel sein jüngstes Papier zum Thema Islam "Klarheit und gute Nachbarschaft", in dem er sich gegen multireligiöse Feiern mit Muslimen ausspricht. Oder seine ablehnenden Äußerungen zur "Bibel in gerechter Sprache". Vielleicht wächst dort ein tapferer Präses der EKD heran, aber ich bleibe skeptisch.

Für wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich halten sie seinen echten inneren Wandel über bloßes Taktieren hinaus?

Apel: Ich will einen echten Wandel nicht ausschließen, und es täte mir leid, wenn ich Bischof Huber Unrecht tun würde. Aber sehen Sie: Ich war mal Pazifist und bin dann Verteidigungsminister geworden. Da hatte ich meinen früheren Gesinnungsgenossen einiges zu erklären! Hat man von Bischof Huber je ein entsprechendes Wort gehört? Paulus spricht immer wieder davon, daß er als Saulus geirrt und daß er sich gewandelt habe, daß seine Vergangenheit ein Fehler war. Wenn so was von Huber käme, würde ich mich gerne für meine Aussagen bei ihm entschuldigen. Allerdings, es fehlt mir nicht nur, daß er sich erklärt. Wenn Huber von einer Rückkehr zu den Glaubenswahrheiten spricht, dann soll er klar sagen, was er darunter versteht. Viele Fromme warten darauf, auch auf eine breite Debatte in der Kirche, die sie aus ihrer Lethargie herausholen kann.

Bischof Huber bekennt offen: "Unsere Kirche war im Guten wie im Schlechten ein Teil der Achtundsechziger-Bewegung". Eigentlich nichts Neues, aber ist die öffentlich eingestandene Tatsache, daß sich die Kirche einer politischen Bewegung unterworfen hat, nicht ein Skandal?

Apel: Natürlich. Der EKD ging es dabei ähnlich wie der SPD. Beide sahen sich im Laufe der Zeit mit dem Eintritt von Kräften konfrontiert, die sie "umprogrammiert" haben. In der SPD wurden die alten Sozis, die noch aus der Arbeiterbewegung kamen, von Akademikern und Intellektuellen verdrängt, die ganz andere Inhalte und Werte proklamierten. Schließlich fanden sich in der EKD Pfarrer, die bekannten, nicht mehr an Gott zu glauben, aber homosexuell zu leben. Am Ende war die SPD eine andere Partei und die EKD in einer tiefen Glaubenskrise.

Die ehemalige Achtundsechziger-Bewegung definiert heute das kulturelle und politische Rahmengefüge unserer Gesellschaft. Man hat von Kollaboration der Kirche im Dritten Reich und in der DDR gesprochen. Muß man analog auch von einer "gesellschaftspolitischen Kollaboration der Kirche in der Bundesrepublik" sprechen?

Apel: Die Kirchen haben spät der Nazidiktatur widersprochen. Auch heute sind sie keine Ja-Sager. Es gibt allerdings bedenkliche Ausnahmen. Ich erinnere mich etwa an die Rechtfertigung, die die Bischöfin von Hannover, Margot Käßmann - die ich sonst sehr schätze -, für die kirchliche Segnung der Homoehe geliefert hat: Wenn der Staat dies ermögliche, dann müsse die EKD das auch geistlich begleiten. Was ist das für ein Verständnis von Kirche und Religion? Wo hat es in der Geschichte hingeführt, wenn die Kirche sich am Staat orientiert hat? Und was heißt das für andere Fragen, etwa für die staatliche de-facto-Freigabe der Abtreibung? Ich glaube, diese Politisierung hat letztlich mit dazu beigetragen, daß die Menschen immer weniger religiöses Vertrauen in die Kirche haben.

Man kann die EKD allerdings auch als Opfer betrachten. Wenn sogar Pfarrer nicht mehr glauben, dann weist dies doch auf eine tiefe kulturspezifische Krise hin. Tatsächlich existiert das Problem in Europa ja mindestens seit der Aufklärung. Viele Menschen würden gerne glauben, aber es ist ihnen nicht mehr möglich. Wieso können Sie noch glauben?

Apel: Ich war schon immer davon überzeugt, daß es neben Wissenschaft und Vernunft etwas gibt, was man nicht erklären kann. Ich meine Fragen wie: "Was bestimmt unser Leben?" "Was geschieht nach dem Tod?" Mein Vater ist als "kleiner Nazi" in den Zweiten Weltkrieg gezogen und als Christ und Pazifist zurückgekommen. Das hat mich sehr geprägt. Ich konnte die Choräle lange vor den Arbeiterkampfliedern der SPD singen. Übrigens hat die Erfahrung meines Vaters auch meinen Weg in die SPD bestimmt, denn erzogen im Geiste seiner christlich-pazifistischen Einstellung, war auch ich Pazifist und sah als junger Mann am ehesten bei den Sozialdemokraten Chancen für einen politischen Pazifismus. Ich habe mir damals eingebildet, ich könne die SPD endgültig zum Pazifismus bekehren.

Statt dessen sind Sie Verteidigungsminister geworden.

Apel: Ja, das war die Strafe für meine Selbstüberschätzung.

Wie hat man im Bundeskabinett auf Ihre betont christliche Einstellung reagiert?

Apel: Ich habe einmal den "Fehler" gemacht, öffentlich zu sagen: "Auch ich bedarf der Vergebung durch Jesus Christus, weil auch ich im Rahmen meiner politischen Arbeit lüge und manipuliere." Daraufhin war ich im Plenum regelmäßig mit Zwischenrufen konfrontiert: "Der hat selbst zugegeben, daß er lügt!" So daß Helmut Schmidt mich schließlich ermahnte, doch endlich mit meinem "christlichen Exhibitionismus" aufzuhören. In der Frage der christlichen Einstellung sind wir uns, obwohl enge Freunde, nie einig geworden.

Was sagen Sie Menschen, die nicht glauben können oder die Religion gar für eine Art Geisteskrankheit halten?

Apel: Ich spüre in der Tat bei vielen Leuten auch eine hilflose Sehnsucht nach dem Glauben. Leider verschwinden viele von ihnen im "religiösen Nirwana", weil sie keine Antworten finden. Auch ich habe kein Patentrezept. Ich glaube, die Menschen wollen einerseits eine klare christliche Botschaft, andererseits wollen sie selbst bestimmen und nicht zu viele Vorschriften akzeptieren.

Laut Bibel ist der unbedingte Gehorsam gegenüber Gott - im Sinne einer liebenden Hingabe - aber eine zentrale Essenz für den Glauben. Wollen diese Leute also wirklich glauben, oder fürchten sie sich nur davor, ganz auf Gott zu verzichten?

Apel: Das ist eine wichtige Frage, die auch mich umtreibt. Selbst der Vatikan setzt bei seinen Glaubensoffensiven inzwischen vor allem auf den Aspekt der Hilfe Gottes im Leben. Dagegen läßt er die Fragen nach Tod, Auferstehung und vor allem dem Jüngsten Gericht in den Hintergrund treten. Es geht um Gott im Diesseits.

Ist das noch Glaube oder nur religiös verbrämte Lebenshilfe?

Apel: Die Frage ist, war das früher anders? Sicher bei Martin Luther! Aber der war ja auch ein Ausnahme-Christ. Deshalb wohl hat die katholische Kirche auch nie ganz auf die Vorstellung verzichtet, daß es nicht nur auf die Gnade Gottes alleine ankommt, sondern immer auch ein bißchen Werkgerechtigkeit eine Rolle spielt. Denn das wollen die Menschen: Sie wollen, wenn sie Gutes tun, auch etwas dafür vom lieben Gott bekommen. So ist der Mensch.

Sie betrachten den Katholizismus als "menschengemäßer" als Ihre eigene Konfession?

Apel: Die katholische Kirche macht es den Menschen leichter, "dabeizubleiben". Doch ihre Probleme sind beachtlich. Sie verbietet ihren Gläubigen die künstliche Empfängnisverhütung und verurteilt die Liberalisierung der Abtreibung. Ergebnis: Im entchristlichten Frankreich und in Skandinavien sind die Geburtenraten dank der staatlichen Fami-lienpolitik deutlich höher als im stockkatholischen Italien.

Sie sind nicht zur katholischen, sondern zur Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), einer Freikirche, übergetreten.

Apel: Die Freikirchen nehmen das Evangelium noch ernst, und - anders als bei meinen oft schlechten zwischenmenschlichen Erfahrungen in der Amtskirche - es herrscht hier eine große Solidarität unter den Gläubigen. Charismatische Freikirchen wachsen zwar, sind aber nicht jedermanns Sache, und klassische Freikirchen wie die SELK haben ebenfalls das Problem der Schrumpfung. Und ihr Einfluß auf die Gesellschaftspolitik ist gleich Null. Deshalb träume ich von der Wiedergeburt einer großen, frommen evangelischen Kirche in Deutschland.

 

Prof. Dr. Hans Apel, Bundesminister a.D. Der Sozialdemokrat war von 1974 bis 1978 Bundesminister der Finanzen und von 1978 bis 1982 Bundesminister der Verteidigung. 1932 in Hamburg geboren, studierte Apel Wirtschaftswissenschaften und trat 1955 in die SPD ein. Von 1970 bis 1988 gehörte er dem Bundesvorstand und von 1984 bis 1986 dem Präsidium seiner Partei an. 1969 und 1983 bis 1988 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Immer wieder fiel Apel mit konservativen Postionen auf. 1995 etwa wandte er sich öffentlich gegen die einseitige Bewertung des 8. Mai 1945 als "Tag der Befreiung". 1999 trat der engagierte Christ außerdem aus der Nordelbischen Landeskirche aus und in die unabhängige Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) ein. 2003 publizierte er seine scharfe Kritik an den Mißständen in der evangelischen Amtskirche in dem erfolgreichen Band: "Volkskirche ohne Volk. Der Niedergang der Landeskirchen" (Brunnen-Verlag). Ende März erscheint sein neues Buch "Europa ohne Seele. Warum wir mit der EU so wenig anfangen können" (Brunnen-Verlag) "Selbständige Evangelisch- Lutherische Kirche": Die SELK ist eine konservative lutherische Freikirche, deren Vorläufer ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Derzeit hat sie gut 36.000 Mitglieder in Deutschland. Kontakt: Schopenhauerstraße 7, 30625 Hannover, Telefon: 0511 / 55 78 08, Internet: www.selk.de

 

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