© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

"Zu groß, zu rothaarig, zu dick"
Und als Gesamtkunstwerk unerreicht: Zarah Leander zum hundertsten Geburtstag
Ulf Lenz

Verglichen mit Marianne Hoppe, Paula Wessely, Käthe Dorsch, Maria Koppenhöfer, Elisabeth Flickenschildt oder den nachdrängenden Jungen, einer Hilde Krahl, Heidemarie Hatheyer, Hannelore Schroth, war Zarah Leander eine höchst mittelmäßige Schauspielerin. Aber dies konnte den UFA-Bossen, die sie 1936 für eine aberwitzige Gage unter Vertrag nahmen, eigentlich gleichgültig sein. Denn die Lücke, die von der 29jährigen Schwedin geschlossen werden sollte, hatte eine ebenso mittelmäßige deutsche Darstellerin hinterlassen, um in den USA ein Star zu werden: Marlene Dietrich.

Folglich ein gleich minderwertiger Ersatz, der da in den Babelsberger Studios vor die Kameras trat. Und man war dort ungalant genug, den Vergleich auf die weiblichen Primärmerkmale auszudehnen. Wie Frau Dietrich zu Beginn ihrer Karriere, so erschien auch Frau Leander den männlichen Machern ihrer Filme als hinten zu breit und vorne zu flach. Mußte die Dietrich vor ihren radikalen Hungerkuren mit allen technischen Raffinessen ausgeleuchtet werden, um als fuchsgesichtiger, schmaler Vamp zu becircen, bedurfte der kompakte skandinavische Import dringend einer geschickten Berliner Modeschöpferin, um die Blicke von ihrer ausufernden Taille abzulenken. Was den Regisseur Geza von Bolvary freilich nicht hinderte, herauszuposaunen, der neue Star habe "einen Hintern wie ein Ackergaul".

Aber was sind schon Äußerlichkeiten? Meinte nicht neulich Nicole Kidman, sie hätte sich, wäre sie mit Marilyn Monroes üppigen Oberschenkeln gestraft worden, vom Balkon gestürzt? Nun, filmkünstlerisch gewertet, wäre da nicht viel verlorengegangen, und wer erinnert sich in fünf Jahren an dieses australische Starlett, wenn in unser aller Phantasie Marilyns Plisseerock weiter über U-Bahn-Schächten weht bis in alle Ewigkeit?

Selbst ein dem jeweiligen Schönheitsideal entsprechender "perfekter" Körper und ein geniales mimisches Talent hätten also offenkundig nicht hingereicht, um "die Dietrich" oder "die Leander" zu werden. Das viele UFA-Geld, zunächst 100.000 Reichsmark pro Film, davon die Hälfte in Schwedischen Kronen, floß Zarah Leander auch weder als Traumfrau noch als zweiter Duse in die Schatulle. Investiert wurde vielmehr in ein Gesamtkunstwerk, in eine Persönlichkeit, eine "leading Lady", die die Einheit von Bild, Sprache und Musik kreierte.

Eine denkwürdige Truppe unsicherer Kantonisten

So eine Erscheinung ist selten wie ein weißer Tiger und eben entsprechend teuer. Nicht zu reden davon, daß weitere immense Kosten dafür anfielen, den Tiger in Szene zu setzen. Denn das Gesamtkunstwerk entsteht aus einer Mannschaftsleistung. Ein begnadeter Meister des magischen Realismus wie der Kameramann Franz Weihmayr (1903-1969), dessen lichtkünstlerische Vexierspiele NS-Parteitagsfilme prägten, der aber auch an der verfemten Dämonie des "Fährmann Maria" mit Sybille Schmitz (1935) beteiligt war, sorgte in ausnahmslos allen Filmen Zarah Leanders dafür, das ihr flächiges, stets von schräg oben fotografiertes Gesicht das Kinopublikum in den Bann schlug. Ihre Regisseure, Detlef Sierck, und nach dessen Emigration (der sich der "halbjüdische" Sohn verweigerte, um 1944 an der Ostfront zu fallen!) der andere junge Fachmann fürs Melodramatische, der wegen eines "bevölkerungspolitisch unerwünschten" Films vis-à-vis de rien gestellte Rolf Hansen, verstanden es, aus der geringen schauspielerischen Substanz ihres Stars ein Optimum herauszuholen, wie gerade ihr letzter UFA-Streifen "Damals" (1943) dokumentiert. Und schließlich war da noch Zarah Leanders Leibkomponist, ihre private "große Liebe", der schlaksige Oberschlesier Max Jarczyk, Michael Jary, der unter "musikbolschewistischen" Lehrern seine Laufbahn startete, sowie ihr Textdichter, Bruno "Bolle" Balz, ein Homosexueller, der mit dem Gestapo-Kerker blutige Bekanntschaft gemacht hatte.

Eine denkwürdige Truppe von unsicheren Kantonisten, wenn nicht Regimegegnern, die mithalf, aus einer apolitisch-indolenten Schwedin, die als "zu groß, zu rothaarig, zu dick" galt und deren Erhöhung zur "Staatsschauspielerin" sich Adolf Hitler hartnäckig widersetzte, die Galionsfigur des "Großdeutschen Films", die unverwechselbare Kontra-Alt-"Stimme aus dem Reich" zu machen. Und sie wohlgemerkt auch international ins Geschäft zu bringen: Seit 1936 stieg die Zahl der in die USA verkauften "Nazi"-Filme, und 1939 strömten die New Yorker ins Kino, um sich jenseits von Hollywood "Zu neuen Ufern" führen zu lassen.

Die stärkste Faszination des Gesamtkunstwerkes Zarah Leander ging, auch hierin Marlene Dietrich gleichend, von ihr als Diseuse aus. Freimütig räumte die Diva deshalb in ihren Memoiren ein ("Es war so wunderbar", 1973), ihre Filme seien gedreht worden "vor allem als Vorwand für meine Lieder". Dem ist kaum zu widersprechen. Wem bliebe Viktor Tourjanskys "Blaufuchs" (1938) in der cineastischen Erinnerung? Ohne ihren Auftritt mit "Kann denn Liebe Sünde sein", ja vielleicht ohne jene drei Sekunden, als sie, singend-gurrend zu Willy Birgel in die Kulisse schauend, vom Dramaturgen mit dem schneidigen Ruf unterbrochen wird: "Hier, gnädige Frau, hier ist die Sünde!"

Solche auratischen Augen-Blicke gab es in ihren zehn Filmen zwischen 1937 und 1942 einige, nicht viele. Der Slowfox "Yes, Sir!" der lasziven Gloria Vane in "Zu neuen Ufern" (1937), das in die Filmgeschichte eingeschriebene schmachtende "Ach" des Tango-Habanera "Der Wind hat mir ein Lied erzählt", mit dem sich die unglückliche Astrée aus ihrem tropischen Ehekäfig hinaussehnt ("La Habanera", 1937), der pianissimo dargebrachte Marsch "Heut' kommen die blauen Husaren", den leider die beiden dröhnenden Walzer "Davon geht die Welt nicht unter" und "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen" in "Die große Liebe" (1942) ersticken.

Das Führerprinzip in Liebe und Ehe

Für die sich auf dem Glacis von "Gender Mainstreaming" vor zwanzig Jahren warmlaufende retrospektive bundesdeutsche Filmkritik, deren Befunde heute von ZDF bis Spiegel dogmatisiert und zu gängiger Münze gestanzt werden, lieferten die Rollen und die Lieder Zarah Leanders nur einen Beitrag zur NS-"Systemstabilisierung". Von Cinzia Romanis Gegifte über "Filmdiven im Dritten Reich" (1982) bis zu Antje Ascheids reißerisch aufgeblähtem Geplapper über "Hitlers Heroinen" ("Stardom and womanhood in Nazi cinema", 2003) ist dabei nicht mehr herausgekommen als der weltbewegende "Nachweis", daß Zarah Leander ein "monogames" Beziehungsideal vermittelt habe und ein Frauenbild, das die Liebe zum Mann zum weiblichen Lebensinhalt verabsolutierte, wobei die dabei unvermeidliche "Unterordnung" natürlich die "Übertragung des faschistischen Führerprinzips auf Liebe und Ehe" bedeute. Tatsächlich ist die einzige "Übertragung", die in diesem Geschwurbel zu erkennen ist, die des von Horkheimer und Adorno für Hollywood reservierten Konstrukts "Kulturindustrie" auf den von "unserm Doktor" Joseph Goebbels dirigierten Babelsberger Betrieb.

Da war Günther Rühle in seinem FAZ-Nachruf auf die am 23. Juni 1981 in Stockholm verstorbene Künstlerin der ungleich schärfere Analytiker, wenn er, dabei nicht einmal das habituell "Zersetzende" ihrer "Hilfswilligen" Jary&Co. berücksichtigend, herausstellte, daß sie das exakte Gegenteil des offiziösen Frauenbildes verkörperte: "mondän, sinnlich, verworfen, sündig, frivol". Ihr "Typus der Femme fatale gehörte eher zur bürgerlichen Welt von 1910 als ins Dritte Reich. Sie war deren Nachglanz. Da jene Welt noch in Hitlers Welt hineinreichte, gehörte sie zur geduldeten und sogar - aus welchen Gründen auch immer - gepflegten Gegenwelt." Mit Ernst Bloch zu sprechen: Zarah Leander, das sinnlichste Erlebnis der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

 

Im Fernsehen

Zum hundertsten Geburtstag Zarah Leanders sendet 3Sat am 12. März ihren Debütfilm "Premiere" (1937) und am 14. März "Gabriela" (1950), beide jeweils um 14 Uhr. Am 16. März ist im RBB um 15 Uhr der Film "Es war eine rauschende Ballnacht" (1939) zu sehen.


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