© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Homevoting
Karl Heinzen

Bei den estnischen Wahlen am vergangenen Sonntag wurde den Stimmberechtigten zum ersten Mal die Möglichkeit geboten, auch via Internet über die Zusammensetzung des Parlaments zu entscheiden. Allerdings mutete die Prozedur reichlich kompliziert an: Der Wähler benötigte einen Ausweis mit digitalem Chip, damit über ein Lesegerät seine Identität geklärt werden konnte. Durch die Eingabe einer PIN gelangte er auf die für die Stimmabgabe vorgesehene Seite, mittels einer weiteren PIN konnte er sein Votum verschlüsseln. Hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit ist man im Homebanking da doch schon erheblich weiter, obwohl es bei ihm um so etwas Ernstes wie Geld und nicht bloß um das Ausleben staatsbürgerlicher Tugenden geht.

Die Kritik am "Homevoting" hakt jedoch ganz woanders ein: Das Zustandekommen des Wahlergebnisses sei beim Einsatz von Computern öffentlich nicht nachvollziehbar. Stimmzettel könne man in die Hand nehmen und nachzählen. Manipulationen durch eine Software hingegen wären so gut wie nicht zu erkennen. Derartige Argumente sind nicht neu, die heutigen Maschinenstürmer führen sie auch gegen die elektronische Stimmabgabe mittels Touchscreen oder Knopfdruck in der Wahlkabine ins Feld. Überzeugen könnten sie aber nur, wenn das antiquierte System mit papierenem Stimmzettel und versiegelter Urne immun gegen Wahlfälschungen gewesen wäre. Sogar im Idyll der guten, alten Bundesrepublik hätten jedoch Manipulationen sogar im größeren Stil stattfinden können, so man sie denn nur gewollt hätte.

Der technologische Fortschritt wird sich aber auch in der Ausgestaltung der demokratischen Verfahren nicht aufhalten lassen. Die bisherige Methode, Wahllokale über das ganze Land zu verteilen, ist zudem ökologisch und ökonomisch kaum zu verantworten. Die unnötigen Fahrleistungen von Wählern und Wahlhelfern schädigen das Klima und die Volkswirtschaft. Obwohl soviel dafür spricht, Wahlen in mittlerer Frist ganz ins Internet zu verlegen, wird diese Modernisierung aber nicht einfach durchzusetzen sein, da sich ihr nicht allein die Technikverweigerer entgegenstellen. Vor allem muß man mit dem Widerstand jener rechnen, die in der Demokratie nur einen symbolischen Akt sehen und eine tatsächliche Mitsprache der Bürger gar nicht wollen. Da sich via Internet sehr schnell und zu geringen Kosten der Willen der Wähler zu allen möglichen Themen ermitteln ließe, könnte, so ihre Befürchtung, ja versucht werden, den alten Menschheitstraum der direkten Demokratie doch noch zu verwirklichen.


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