© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

"Neue Qualität an Brutalität"
Die Gewalt ausländischstämmiger Jugendlicher steigt sprunghaft an. Die Berliner Polizei schlägt Alarm
Moritz Schwarz

Herr Pfalzgraf, am 19. März wird der Berliner Innensenator die Kriminalstatistik 2006 vorlegen. Der "Focus" spricht in einer Vorabberichterstattung von einer "Welle der Gewalt" durch die "rapide wachsende Zahl gewalttätiger Jugendlicher mit Migrationshintergrund", die die deutsche Hauptstadt im vergangenen Jahr erlebt hat.

Pfalzgraf: Ich kann dieser Bewertung nur voll und ganz zustimmen! Die Daten sind alarmierend. Und der Innensenator weiß schon, warum er die bedrückendsten Zahlen vorab an die Öffentlichkeit gebracht hat: damit die Medienwelle am Tag der Veröffentlichung nicht zu hoch schlägt.

Inwiefern?

Pfalzgraf: Innenminister verfahren allgemein gerne nach dieser Methode, um am Tag der offiziellen Vorstellung ihres Berichts eine gute Figur zu machen. Dann verkünden sie: "Das Land ist sicher!" Verweisen nach Möglichkeit auf rückläufige Gesamtzahlen und fügen lediglich an: "Aber wir haben auch noch ein paar Probleme." Und damit die nicht allzusehr unangenehm überraschen, wurden sie Wochen vorher schon publik gemacht.

Berlin ist im vergangenen Jahr immer wieder durch spektakuläre Fälle von Gewalt durch ausländischstämmige Jugendliche bundesweit in die Schlagzeilen geraten (JF berichtete). Wie sieht die Situation im übrigen Deutschland aus?

Pfalzgraf: Das Problem von Gewalt durch Personen mit Migrationshintergrund ist nicht spezifisch für Berlin. Es existiert ebenso in anderen Städten. Ein Grund, warum Berlin aber dennoch immer wieder damit in die Schlagzeilen gerät, mag sein, daß hier wegen der großen Einwohnerzahl von etwa 3,3 Millionen Menschen die absolute Zahl der Ausländer - um die 450.000 - besonders hoch ist. Dazu kommt noch, daß viele Nicht-Deutschstämmige inzwischen einen deutschen Paß haben.

Obwohl die absolute Zahl der deutschen Tatverdächtigen gesunken ist, ist die Jugendkriminalität laut Vorabberichterstattung um fünf bis sieben Prozent gestiegen, denn über 59 Prozent der Täter sind mittlerweile nicht-deutscher Herkunft. Bei den Intensivtätern sollen es sogar beinahe 100 Prozent sein.

Pfalzgraf: Die Gewaltbereitschaft unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund hat erheblich zugenommen. Das zeigt nicht nur das Ansteigen der Zahl der Gewaltdelikte, sondern auch, daß diese Delikte in der Qualität an Brutalität zunehmen. So ist 2006 in Berlin die Verwendung von Stichwaffen um 72 Prozent, die von Hiebwaffen gar um 110 Prozent gestiegen! Das Ganze muß als alarmierendes Zeichen einer eklatanten gesellschaftlichen Verwahrlosung verstanden werden.

Warum aber wächst das Problem plötzlich derart "rapide", wie der "Focus" schreibt?

Pfalzgraf: Es ist kein neues Problem. Vielmehr kennen die üblichen Bedenkenträger in Politik und Öffentlichkeit das Problem seit langem. Polizisten und Sozialarbeiter kommen sich daher mit ihren Warnungen zu Recht als die ignorierten "Müllmänner der Gesellschaft" vor.

Das heißt, wir erleben eine sich "ins Unendliche" fortsetzende Spirale? Wir müssen uns also damit abfinden, daß die Gewalt ausländischstämmiger Jugendlicher immer weiter anwächst?

Pfalzgraf: Für diese Spirale spielt der Faktor "D", also die Demographie eine wichtige Rolle: Nimmt die Zahl der ausländischstämmigen Jugendlichen zu, so nimmt eben auch deren Anteil an der Kriminalitätsrate zu.

Die Demographen prognostizieren einen weiteren erheblichen Anstieg der ausländischstämmigen Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten!

Pfalzgraf: Deshalb sollte die politisch korrekte "Betroffenheitsmafia", die sich dieser Erkenntnis verschließt, die "Seismographen" in der Gesellschaft - die Polizei oder betroffene Bürger - endlich ernstnehmen!

Unter letzteren rumort es mittlerweile offenbar erheblich, wie man merkt, wenn man etwa die Leserbrief- und Weblog-Reaktionen zum Beispiel des Berliner "Tagesspiegel" liest, der als eines der wenigen Medien überraschenderweise seit einiger Zeit regelmäßig über das Problem berichtet (JF 6/07).

Pfalzgraf: Eben, die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert deshalb zum Beispiel, daß zusätzlich zur herkömmlichen polizeilichen Kriminalstatistik künftig auch jährlich der sogenannte "Kriminalitätsatlas" erstellt wird. Denn der gibt Auskunft über das Sicherheitsgefühl der Bürger in einer Stadt. Hier wird die Sicherheitslage nicht aufgrund der Zahl der angezeigten Delikte, sondern des Empfindens der Bürger erfaßt. Der Kriminalitätsatlas könnte für die Polizeiarbeit wertvolle Hinweise geben und würde es vor allem den Verantwortlichen nicht mehr so einfach machen, die Meinung der Bürger zu ignorieren.

Welche Maßnahmen schlägt die Polizeigewerkschaft zudem vor?

Pfalzgraf: Etwa die Senkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre. Das klingt hart, ist aber leider nur eine Anpassung an die Realität, mit der die Kollegen auf der Straße inzwischen konfrontiert sind. Denken Sie zum Beispiel daran, daß einige der Täter, die Ende Januar in Berlin einen Polizeibeamten um ein Haar totgeschlagen hätten, erst 14 Jahre alt waren. Insgesamt sinkt die Altersschwelle bei der Gewaltkriminalität; die Täter sind immer jünger! Weiter wünschen wir uns die Möglichkeit der Unterbringung jugendlicher Straftäter in geschlossenen Heimen. Immerhin machen dies die meisten Bundesländer schon, nur leider hält die Innenbehörde der Bundeshauptstadt das nicht für nötig. Seit Jahren weisen wir außerdem darauf hin, wie wichtig es ist, daß die Strafe für überführte Täter auf dem Fuße folgt und sie nicht erst Monate oder gar Jahre später vor Gericht gestellt werden. In diesem Zusammenhang wird von der Politik mittlerweile die Möglichkeit eines "Warnschuß-Arrests" bzw. "Knast auf Probe", wie manche es nennen, diskutiert. Wichtig wäre aber auch, künftig eine feste regionale Zuständigkeit von Staatsanwälten und Richtern je für einen bestimmten Stadtteil zu gewährleisten.

Was ist mit der Aufhebung der Verschleierung der ethnischen Herkunft der Täter in den Polizeiberichten? Wäre das nicht eine sinnvolle Maßnahme, um die zur Bekämpfung des Problems notwendige Transparenz zu schaffen?

Pfalzgraf: Auch das ist eine alte Forderung von uns, wir müssen für eine effiziente Kriminalitätsbekämpfung Roß und Reiter nennen.

Zur Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit setzt man mittlerweile auf die neue juristische Kategorie der "Haßkriminalität", das heißt, nicht nur die Rechtsverletzung an sich, sondern auch das Tatmotiv "Haß" soll künftig eine Rolle spielen. Warum fordert die Polizeigewerkschaft zur Bekämpfung der Kriminalität durch Ausländer nicht entsprechend die Einführung dieser Kategorie, wenn aus Haß gegen Deutsche, Christen oder Polizeibeamte gehandelt wird?

Pfalzgraf: Haß zu messen, halte ich für eine äußerst fragwürdige Angelegenheit. Das ist doch vor allem Auslegungssache. Ich habe da meine Vorbehalte, egal um welche Opfergruppe es geht.

Dann wird es den Tatbestand der Haßkriminalität weiterhin nur zugunsten von Ausländern und Ausländischstämmigen geben. Der Vizevorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten, Bernd Carstensen, bestätigte in einem Interview mit dieser Zeitung, daß die Polizei auch die Kategorie des "Rassismus gegen Deutsche" nicht kennt, während sie sich gleichzeitig sehr aktiv gegen jeden Rassismus gegen Nicht-Deutsche einsetzt. Was halten Sie denn davon?

Pfalzgraf: Ich bezweifle nicht, daß es Kriminalität aus Haß auf Deutsche ebenso wie auf Polizeibeamte gibt, bin aber dennoch gegen die Einführung solcher Kategorien. Das Ausschöpfen und Ausbauen der herkömmlichen Mittel reicht völlig aus.

Mangelnde soziale Integration wird immer wieder als Ursache für die Gewalt ausländischstämmiger Jugendlicher genannt. Ist diese Analyse vollständig?

Pfalzgraf: Diese Jugendlichen sind in der Tat oft völlig entwurzelt, sie haben vor nichts Respekt, auch nicht vor dem Staat, der sie in vielen Belangen sogar mit viel Geld so-zial unterstützt. Und die fehlende Integra-tion auch der Elternhäuser macht der Polizei die Arbeit sehr schwer. Zusätzlich kann eine verfehlte Integrationspolitik jedes Problem noch verschärfen.

Kaum eine Rolle spielt in der Diskussion der meisten Medien der ethnisch-kulturelle Hintergrund. Wird er doch erwähnt, wird auch er allerdings fast ausschließlich als soziales Problem diskutiert. Sind "Macho-Kultur" oder islamisch-traditionale Orientierung letztlich wirklich nur eine Frage von Lehrstelle und sozialbetreutem Jugendclub?

Pfalzgraf: Nein, natürlich spielen kulturelle Hintergründe eine wesentliche Rolle. Das hat jüngst auch etwa eine Studie des niedersächsischen Kriminologen Christian Pfeiffer bestätigt. Daß es da erhebliche Unterschiede gibt, kann aber jeder auch schon im Alltag feststellen. Die Politik berücksichtigt nach meiner Auffassung und Erfahrung in der Tat den ethnischen Faktor nicht in ausreichendem Maße. Viele haben offenbar immer noch nicht begriffen, daß die Realität das Konzept des Multikulturalismus bereits widerlegt hat. Immerhin gibt es aber Ansätze, die wir bei der Polizei unter "Transfer interkultureller Kompetenz" zusammenfassen.

Das heißt, die Berücksichtigung des ethnischen Faktors schlägt sich allein in einer Verhaltensanpassung der Polizei nieder? Ist das nicht etwas einseitig?

Pfalzgraf: Es ist eben leider so, daß die Politik kaum gewillt ist, diesen Faktor wahrzunehmen. Die Kollegen, die an den entsprechenden ethnischen Brennpunkten im Einsatz stehen, haben sich daher mitunter schon vor Jahren zu wahren Spezialisten im Umgang mit dem kulturellen Faktor entwickeln müssen.

Sie haben im Januar die Berliner Polizeiführung in puncto ausländischstämmiger Jugendgewalt öffentlich als "beschwichtigend" kritisiert.

Pfalzgraf: Es ist natürlich selbstverständlich, daß die Polizeiführung mit der Politik auf einer Wellenlänge liegt, das entspricht den Regeln unseres Rechtsstaates. Es ist aber dennoch ein Problem, wenn dadurch unfreiwillig die Situation entsteht, daß den Kollegen auf der Straße von seiten der eigenen Führung die "Rückendeckung" verlorengeht. Und so empfinden das meine Kollegen.

Das heißt, statt den Konflikt zwischen Anforderungen der Realität und politischer Zielvorgabe auf ihrer Ebene zu artikulieren, verdrängt die Polizeiführung den Widerspruch aus Gründen politischer Opportunität?

Pfalzgraf: Die Polizeiführung folgt eben dem unterschwelligen Wunsch der Politik, diese Probleme nicht gerne in den Medien behandelt zu sehen. De facto haben wir es aber auf der Straße zunehmend mit massiven Attacken auch auf Polizei - immer öfter durch ganze Menschenmengen - zu tun. Wenn man darauf einsatztaktisch und personell keine Antwort findet, dann praktiziert man sein politisches Wohlverhalten auf dem Rücken der Kollegen auf der Straße. Das ist nicht in Ordnung.

Wenn der Bürger sieht, daß offenbar nicht unbedeutende Faktoren wie Rassismus gegen Deutsche oder die ethnisch-kulturelle Prägung vieler Täter aus politischen Gründen keine Rolle spielen, welches Vertrauen soll er dann noch in die Debatte und die verantwortlichen Institutionen haben?

Pfalzgraf: So etwas fördert natürlich die Politikverdrossenheit. Ich persönlich glaube auch, daß der Bürger in letzter Zeit zu wenig befragt wird, ja um ehrlich zu sein, mein Eindruck ist, er spielt mittlerweile in den politischen Überlegungen so gut wie keine Rolle mehr. Aber das ist eine politische, keine polizeiliche Frage mehr.

Was halten Sie von den Forderungen der Opposition in Berlin, etwa nach Ausweisung ausländischer Intensivtäter, als Antwort auf das Problem?

Pfalzgraf: Wir sehen, wie sich die Opposition in diesen Fragen derzeit neu orientiert, und wir beobachten das mit großem Interesse.

Haben Sie Vertrauen? Immerhin hat die CDU bis 2001 in Berlin viele Jahre regiert, ohne das sich abzeichnende Problem anzupacken.

Pfalzgraf: Polizei, Politik und Vertrauen - das ist ein Kapitel für sich! Wir erleben in Deutschland generell, gleich welche Partei an der Macht ist, daß an der Polizei - am Willen der Bürger vorbei - gespart wird. Insofern sind wir natürlich aus Erfahrung gegenüber der Politik skeptisch. Mit der CDU hat das nicht nur zu tun, das gilt allgemein.

Viel Geld und Aufmerksamkeit wird in die Bekämpfung des Rechtsextremismus gesteckt. Wenn Sie diese Zahlen mit denen der Gewalt durch ausländischstämmige Jugendliche vergleichen, welchen Umfang müßte dann das zivilgesellschaftliche Engagement bei letzterem haben?

Pfalzgraf: Polizei muß neutral sein und darf weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind sein. Alles andere ist verfassungswidrige Politik, und da möchte ich mich nicht einmischen. Ich würde mir aber wünschen, daß mehr Geld in die Förderung von Zivilcourage gesteckt wird, und zwar Zivilcourage in alle Richtungen, nicht nur in eine bestimmte.

Wir haben viel über die Täter gesprochen, wer aber sind eigentlich die Opfer der ausländischstämmigen Jugendgewalt?

Pfalzgraf: Wir beschäftigen uns in Deutschland tendenziell eher mit den Tätern als mit den Opfern. Das bedauere ich allgemein!

Ein Kollege eines im März 2006 in Berlin-Neukölln von einem ausländischen Intensivtäter erschossenen Zivilfahnders äußerte nach der Tat: "Achtzig Prozent der Täter bei der Jugendkriminalität sind Ausländer, achtzig Prozent der Opfer sind Deutsche."

Pfalzgraf: Es gibt Stadtteile, in denen das zutrifft. Insgesamt gehört das Thema Opferschutz nach meiner festen Überzeugung in staatliche Hand. Während ganze Heerscharen sich um die Krümmung der Banane kümmern, müssen die Opfer von gemeinnützigen Vereinen betreut werden. Nur mit einer Kultur des "Hinsehen und Handeln" sorgt man dafür, daß aus potentiellen Opfern keine tatsächlichen Opfer werden.

 

Bodo Pfalzgraf ist Vorsitzender des Landesverbandes Berlin und Mitglied des Bundesvorstandes der Deutschen Polizeigewerkschaft. Der Oberkommissar wurde 1963 in Berlin geboren.

 

Stichwort: "Deutsche Polizeigewerkschaft": Der Verband wurde 1951 als Bund deutscher Polizeibeamter gegründet und 1987 in Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) umbenannt. Vorläufer war der Zusammenschluß verschiedener in der Kaiserzeit gegründeter Interessenverbände 1919 zum Reichsverband Deutscher Polizeibeamter. Die zum Deutschen Beamtenbund gehörende DPolG rangiert mit 80.000 Mitgliedern vor der Bundespolizeigewerkschaft (11.000 Mitglieder) und dem Bund Deutscher Kriminalbeamter (13.000 Mitglieder) und hinter der im DGB organisierten, als GdP bekannten Gewerkschaft der Polizei (175.000 Mitglieder).

 

Stichwort: "Polizeiliche Kriminalstatistik": Erstmals 1953 veröffentlicht, gibt die PKS Auskunft über die polizeilich erfaßten Straftaten ("Hellfeld"). Verkehrs- und Staatsschutzdelikte wurden im Laufe der Zeit der Einfachheit halber ausgegliedert. Politische Erwägungen beeinflussen das Bild, das die PKS zeichnet. So zählt sie etwa nur Tatverdächtige: Mehrfachtäter tauchen also nur einmal auf! Ein weiteres Beispiel ist der Rückgang ausländischer und das Ansteigen der Zahl deutscher Straftäter in den vergangenen Jahren aufgrund der freizügigen Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft. Der Anteil der nominell nicht-deutschen Tatverdächtigen lag 2005 bei zwanzig Prozent (ohne Straftaten gegen Ausländerrecht), der Anteil von Ausländern an der Gesamtbevölkerung betrug im gleichen Jahr neun Prozent.

 

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