© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Michael Naumann
Der Kandidat
von Thorsten Hinz

Er hat seine Bereitschaft zur Spitzenkandidatur der Hamburger SPD für die Bürgerschaftswahl 2008 erklärt. Als Ersten Bürgermeister würden ihn neben Repräsentationsaufgaben vorrangig kommunale Probleme wie Müllabfuhr, Wirtschaftsförderung, Beamtenbesoldung und Kindergartenplätze erwarten. Dabei hatte Michael Naumann einst verkündet, jeder seiner Tage müsse mit der Lektüre eines Gedichts beginnen. Als ihn Gerhard Schröder 1998 zum Kulturstaatsminister im Kanzleramt ernannte, stellte er klar, daß er, obwohl SPD-Mitglied, in einer anderen Liga spiele als seine Politikerkollegen.

Sein Werdegang war tatsächlich ein besonderer. 1941 im anhaltinischen Köthen geboren, studierte er Politologie, Geschichte und Philosophie. Er arbeitete als Journalist bei der Zeit und beim Spiegel, war Leiter des Rowohlt-Verlages und Chef eines Literaturverlages in New York. Doch im Kanzleramt waren statt schöngeistiger Betätigung vor allem Aktenstudium und die Einhaltung bürokratischer Spielregeln gefragt. Seine Bemerkung, der deutsche Kulturföderalismus sei bloß Verfassungsfolklore, trieb die Ministerpräsidenten auf die Barrikaden. Nach nur zwei Jahren schied Naumann aus dem Amt, um Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit zu werden.

Seine Bilanz: Er hatte die deutsche Buchpreisbindung vor Brüsseler Übergriffen bewahrt und beim Finanzminister Geld für die Sanierung der Berliner Museumsinsel eingeworben. Andererseits hatte er den üblichen politischen Ressentiments gehorcht, die auch seine eigenen waren: Den Kultureinrichtungen der Vertriebenen drehte er den Geldhahn zu, und Reemtsmas Wehrmachts-Ausstellung unterstützte er mit der Bemerkung, die deutsche Armee sei ein "marschierendes Schlachthaus" gewesen. Dem Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Christoph Stölzl, verweigerte er trotz dessen überragender Eignung die Ernennung zum Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, weil er dem harmlosen Salon-Konservativen die Nähe zu Helmut Kohl verübelte.

Die Vorstellung, Michael Naumann könnte sich nun die Regierungsbanalitäten der Hansestadt eine volle Legislaturperiode lang zumuten, bis er siebzig wird, ist abwegig. Warum dann seine Kandidatur? Das Pflichtgefühl des Parteisoldaten kann es nicht sein. Ihn treiben Affekte, allen voran das ästhetisierende Abenteurertum linksintellektueller Journalisten, das sich vor fast vierzig Jahren, im Windschatten von Willy Brandts Kanzlerschaft, schon einmal in der Politik erprobt hatte. Der bekennende Lebemann ist überzeugt, mit seiner Selbstverwirklichung noch längst nicht am Ende zu sein. Und als Vertreter des linksliberalen Kulturmilieus grämt es ihn, die SPD-Hochburg und Medienmetropole Hamburg in CDU-Hand zu sehen.

Im Grunde seines Herzens weiß er, daß seine Niederlage das Beste wäre, was ihm und Hamburg passieren kann. Das verleiht der Kandidatur einen affektierten, apolitischen und peinlichen Charakter.


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