© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Den Intensivtätern auf der Spur
Jugendgewalt I: Eine Berliner Studie untersucht die "Karrieren" von 264 jugendlichen Kriminellen / Fast ausschließlich ausländischer Herkunft
Peter Freitag

Ob "Rütli-Schule" oder Kiez-Krawalle: Das Phänomen männlicher Jugendlicher, die extrem häufig und mit ansteigender Gewalttätigkeit straffällig werden, hat in den Monaten immer wieder die Medien der deutschen Hauptstadt beschäftigt (JF 10/07). Seit 2003 bearbeitet eine gesonderte Abteilung der Berliner Staatsanwaltschaft die Fälle solcher "jugendlichen Intensivtäter".

Gut zwei Jahre nach Einrichtung der Abteilung waren 331 Intensivtäter aktenkundig. Mit einem Großteil dieser Fälle - nämlich 264 Personen - befaßte sich eine Arbeitsgruppe an der Berliner Fachhochschule für Rechtspflege und Verwaltung unter der Leitung des Sozialwissenschaftlers Claudius Ohder.

Ohders Analyse beleuchtet "Intensivtäter" sowohl hinsichtlich sozialer als auch kriminologischer Aspekte. Neben den Akten der Staatsanwaltschaft zog er auch schriftliche Unterlagen der Schulen heran und befragte einen Großteil der Delinquenten. Daraus ergibt sich für die Hauptstadt das folgende Bild eines "typischen" Täters, der zwischen 13 und 21 Jahre alt, männlich (95 Prozent) ist, in Berlin geboren wurde (90 Prozent) und in Neukölln, Wedding, Moabit, Tiergarten oder Kreuzberg wohnt. Der Besuch einer Haupt- oder Sonderschule (70 bzw. 20 Prozent) erfolgte eher sporadisch, weswegen die Wahrscheinlichkeit eines Abschlusses eher gering ist (geschätzt bei 20 Prozent). Die "große Mehrheit" der beleuchteten Vielfachtäter "verfügt über keine arbeitsmarktrelevante Qualifikation", so die Studie.

Die Herkunft aus Berlin, die die überwiegende Mehrheit von ihnen aufweist, hat genausowenig Aussagekraft wie die Unterteilung in "Deutsche" oder "Ausländer". Die Studie fördert diesbezüglich einige interessante Fakten zutage: Formal haben 51 Prozent der Intensivtäter eine deutsche, 49 Prozent eine ausländische (oder keine) Staatsangehörigkeit. 70 Prozent der Täter weisen einen "Migrationshintergrund" auf. "Nachkommen von nach Deutschland migrierten Familien sind somit deutlich überrepräsentiert", fassen die Autoren zusammen.

Bei 75 Prozent der Täter sind beide Elternteile immigriert, wobei die Herkunft aus dem Nahen Osten - speziell aus dem Libanon (25 Prozent) - überwiegt, gefolgt von der Türkei (31 Prozent) und dem ehemaligen Jugoslawien (18 Prozent). Nur ganz selten gehören beide Eltern oder auch nur ein Elternteil der Täter zur zweiten Einwanderergeneration, der Zeitpunkt der Einwanderung liegt zwischen 1975 und 1990 oder sogar später.

Jugendliche Intensivtäter haben sich bereits zu Beginn ihrer kriminallen Karriere der sozialen Kontrolle durch Familie oder staatliche Instanzen entzogen. Ihr Alltag besteht aus dem "Ablauf ereignisarmer Stunden", es wird "abgehängt", meistens in einer "Peergroup" aus Leuten mit vergleichbarem Alter und Sozialstatus sowie - nicht immer - gleicher Ethnizität. Gewalt ist in den Wohnquartieren mit hohem Zuwandereranteil ein "probates Mittel der Konfliktlösung"; entsprechend verläuft die Art der Delikte. Anfangs sind es Gewalttaten wie Körperverletzung, mit denen sich der Täter "Respekt" verschafft. Dem Statusgewinn der frühen Jugend folgt der Wunsch nach größeren Geldsummen, dem bloßen Zusammenschlagen folgt der Raub, der als "Abziehen" verharmlost wird. Knapp die Hälfte der Taten solcher Vielfachtäter sind mit Gewalt gegen Personen verbunden, etwas über ein Viertel sind einfache Eigentumsdelikte. Die Entwicklung bei den Vielfachtätern geht laut Studie in Richtung "Gewinnkriminalität mit erheblichen Gewaltkomponenten". Wie bei allen Delikten überwiegt auch hier der Anteil der Täter mit Migrationshintergrund. Daher ist nachvollziehbar, daß auch bei den Sanktionsmaßnahmen die Täter nichtdeutscher Herkunft quantitativ und qualitativ überwiegen. Mit lediglich einer Ausnahme hatten alle Täter, die zu langen Jugendstrafen (zwei Jahre und mehr) verurteilt worden sind, einen Einwanderungshintergrund. Die Schlußfolgerung der Autoren: Dies sei "unter der Annahme, daß das Merkmal Migration ohne Einfluß auf die Strafhöhe bleibt, ein Hinweis auf eine 'beschleunigte' kriminelle Entwicklung bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund".

Daß es gegen die Kategorisierung des "Intensivtäters" Einwände gibt, verschweigen die Autoren der Studie nicht. Meist schwingt der Vorwurf des Populismus bei einigen Kritikern mit, die darauf hinweisen, daß das Phänomen jugendlicher Straftäter mit hoher Delinquenz erstens nicht neu und zweitens die Anzahl entsprechender Täter nicht so groß sei, wie häufig unterstellt werde.

Letzteres mag für die Täter gelten, für die Taten jedoch nicht: Allein die in der Studie untersuchten Fälle ergaben, daß zu den 264 Personen 6.357 Verfahren eingetragen waren; im Durchschnitt also 24 Verfahren pro Person, wobei die tatsächliche Verfahrenszahl der untersuchten Intensivtäter zwischen zwei und 90 pro Kopf schwankte.

Wenn auch auf einer schmaleren Datenbasis, ergaben die Untersuchungen von Ohder, daß mit 75 Prozent "überwiegend Personen ohne Migrationshintergrund geschädigt wurden", und zwar zu gleichen Teilen durch Täter mit und ohne Migrationshintergrund. Stammte das Opfer von Einwanderern ab, so in den überwiegenden Fällen auch der Täter. "Demnach werden Personen mit Migrationshintergrund selten durch Personen ohne Migrationshintergrund geschädigt."

Foto: Rütli-Schule unter Polizeischutz: Siebzig Prozent der Gewalttäter haben einen "Migrationshintergrund"


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