© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

"Die Spuren deutscher Geschichte erhalten"
Polen: Freiwilligenprogramme für Schlesien und die Masuren sanieren unter fachkundiger Anleitung europäisches Kulturgut
Paul Leonhard

Seit dem Amtsantritt des polnischen Präsidenten Lech Kaczyński haben sich die angespannten deutsch-polnischen Beziehungen weiter verschlechtert. Die angekündigte Stationierung eines neuen US-Raketenabwehrsystems ohne Rücksprache mit Berlin einerseits und der unsinnige Vergleich der sozialkonservativ-nationalkatholischen Drei-Parteien-Koalition unter Jarosław Kaczyński mit Republikanern, DVU und NPD durch Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach (CDU) haben das bilaterale Verhältnis zusätzlich belastet.

Doch zumindest auf unterer Ebene gibt es positive Zeichen - etwa die sogenannten Jugendbauhütten. Einsatzorte sind beispielsweise die Friedenskirche in Schweidnitz (Świdnica), der jüdische Friedhof in Glatz (Kłodzko/Kladsko), das frühere Gut der Familie von Moltke in Kreisau (Krzyżowa), die Stiftung zum Schutze des jüdischen Kulturerbes in Breslau, das Schloß Fürstenstein (Książ) sowie das Technikmuseum in Waldenburg (Wałbrzych).

Jugendbauhütten sind ein deutscher Exportschlager

Jugendliche aus Polen, Deutschland und der Tschechei sanieren unter fachkundiger Anleitung europäisches Kulturgut in Schlesien. Koordiniert werden die "Freiwilligen im Dienste des Denkmals" von der Internationalen Jugendbauhütte in Kreisau. Sie und eine weitere im ostpreußischen Allenstein (Olsztyn) wurden 2005 nach deutschem Vorbild gegründet. Finanziert werden beide von der deutschen Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft".

In den beiden Jugendbauhütten können 18- bis 26jährige ein freiwilliges Jahr in der Denkmalpflege absolvieren. Deutschland erkennt diese Arbeit sogar als Ersatz für den Zivildienst an. Ziel sei es, Jugendlichen "ein Bewußtsein für den Erhalt und die Pflege von Denkmalen der Kultur, Natur und Wissenschaft sowie den mit ihnen verbundenen Erinnerungen zu vermitteln und ihnen die Möglichkeit zur beruflichen Orientierung zu geben", sagt Magda Ziętkiewicz von der Jugendbauhütte Kreisau. Die praktische Arbeit werde durch Seminare und Sprachkurse begleitet.

Niederschlesien sei eine an kulturhistorischen Denkmalen sehr reiche Region, sagt Rafał Borkowski, der die Jugendbauhütte Kreisau mit aufgebaut hat. Der Wert der Herrensitze und Bürgerhäuser sei aber vielfach den Menschen nicht bekannt. Deswegen verfalle vieles oder werde sogar mutwillig zerstört: "Mit unseren Freiwilligen und ihren Leistungen können wir keine Revolution auslösen, aber Interesse wecken." Diese Aufklärungsarbeit ist dringend erforderlich, denn gegenwärtig erlebt Schlesien den größten organisierten Kunstraub seit Kriegsende. Diebesbanden plündern Kirchen und Schlösser. So verschwanden über Nacht die beiden barocken Säulen der Kirche von Neuland (Niwnice), am Gotteshaus von Wolfsberg (Niedów) wurde der Außenschmuck einfach abgeschlagen.

Am beeindruckendsten waren die Sanierungsarbeiten für die Jugendlichen bisher an der Friedenskirche in Schweidnitz, die seit 2001 auf der Welterbeliste der Unesco steht. Die 1656/57 innerhalb von zehn Monaten aus Holz, Stroh und Lehm erbaute protestantische Fachwerkkirche wird seit 1992 restauriert. Deutsche und polnische Freiwillige besserten hier im vergangenen Jahr die Innenwandverkleidungen aus.

"Die kreativen Kräfte in den Jugendlichen wieder wecken"

"Wir wollen helfen, die Spuren deutscher Geschichte in Schlesien und Polen zu erhalten", sagt Gottfried Kiesow. Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz hat nicht nur das Thema Denkmalpflege in Deutschland aus der "Zopfecke" geholt, von ihm stammt auch die Idee, Jugendbauhütten zu gründen, um alte Traditionen und Handwerkstechniken zu bewahren und Jugendliche für die steinernen Zeugnisse der deutschen Geschichte zu interessieren: "Wir müssen die kreativen Kräfte in den Jugendlichen wieder wecken."

Kiesow hat dabei bewußt auf den Begriff der Bauhütten des Mittelalters zurückgegriffen. Im 13. und 14. Jahrhundert hatten sich Maurer, Steinmetze, Zimmerleute und Glaser in zunftähnlichen Gruppen zusammengeschlossen - den Bauhütten. In der gemeinschaftlichen Arbeit errichteten sie vor allem Kirchenbauten. Die Bauhütten waren kulturell-soziale Gemeinschaften mit Hüttenordnungen und Gesetzen. Der Baumeister arbeitete zugleich als Architekt, Bildhauer und Bauhandwerker. Kunst und Handwerk bildeten eine Einheit. 1999 wurde in Quedlinburg (Harz) die erste Jugendbauhütte als Modellprojekt gegründet. Weitere folgten in Wismar und Stralsund, Duisburg/Raesfeld (Nordrhein-Westfalen), in Görlitz, in Potsdam, im thüringischen Mühlhausen und im hessischen Romrod.

Die Stralsunder gilt sogar als deutsch-polnische Jugendbauhütte, da sie eng mit dem benachbarten Stettin zusammenarbeitet. Von Norddeutschland aus soll auch der Kontakt zur Kulturgemeinschaft Borussia in Allenstein gehalten werden, die das Freiwilligenprogramm der Internationalen Jugendbauhütte Ermland und Masuren betreut. Die Görlitzer hat wiederum die Patenschaft über die niederschlesische Jugendbauhütte Kreisau übernommen. Hintergrund ist dabei, die vielen Schlösser und Herrensitze um Hirschberg (Jelenia Góra) vor dem Verfall zu bewahren. Finanziert werden die Jugendbauhütten je zur Hälfte aus Stiftungsmitteln und Geldern der öffentlichen Hand.

Erklärtes Ziel des 75jährigen Kiesow, der selbst aus Altgennin im Kreis Landsberg an der Warthe (Gorzów Wielkopolski) stammt, ist es, das Modell Jugendbauhütte in weitere Länder Ostmitteleuropas zu exportieren. Dabei setzt er auch auf die Mithilfe deutscher Firmen, die im Ausland investieren und sich ein Entrée verschaffen wollen.

Näheres im Internet: www.fonds-ez.de/junge_freiwillige_uebernehmen_verantwortung/freiwillige_fuer_europas_kulturerbe/ 


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