© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Karlsruher Hausgott
Rudolf Smend
von Andreas Klein

Sein Schüler Wilhelm Hennis nennt ihn den "Hausgott" des Bundesverfassungsgerichts. Und da Götter unsterblich sind, scheint Rudolf Smend, dessen Erdenwallen die bei Staatsrechtslehrern seiner Generation offenbar üblichen neun Lebensjahrzehnte umspannte (1882-1975), noch heute die Karlsruher Spruchpraxis zu dominieren.

Wie die von Roland Lhotta komponierte Aufsatzsammlung zeigt, ist es um die "Aktualität der Integrationslehre" Smends 2007 indes nicht mehr so gut bestellt wie zwischen 1949 und 1989. Damals saßen mit Verfassungsrichtern wie Gerhard Leibholz (von 1951 bis 1971) und Konrad Hesse (1975 - 1987) seine Statthalter in Karlsruhe. Daniel Krausnick arbeitet heraus, daß der Einfluß von Smends Grundrechtstheorie seitdem merklich zurückging. Zwar gehorche der "Regelfall" verfassungsgerichtlicher Entscheidung immer noch der Vorgabe Smends, nämlich durch großzügige Grundrechtsauslegung gesellschaftspolitisch "integrierend" zu wirken.

Insoweit verdient sich das BVerfG weiterhin seinen Ruf als für systemstabilisierende Konfliktlösungen unentbehrliches "Bürgergericht", auch wenn es in dieser Funktion bei jährlich 7.000 Verfassungsbeschwerden und überlanger Verfahrensdauer an Grenzen stößt. Diese "chronische Überlastung" sei aber nur ein Grund für den "Rückzug aus der Integrationsaufgabe", den drastisch "Kruzifix"- oder "Kopftuch"-Urteil ankündigten. Hier sei unübersehbar, daß Pluralisierung und Individualisierung inzwischen so große Fortschritte gemacht haben, daß "Integration durch Grundrechtsauslegung" zum "Mythos" werde.

Bei genauerer Analyse von Smends Hauptwerk, "Verfassung und Verfassungsrecht" (1928), wie sie neben Lhotta hier Stefan Korioth und mit Blick auf ihre Eignung als "Theorie eines supranationalen (europäischen) Konstitutionalismus" Achim Hurrelmann versuchen, wird ohnehin evident, daß bei ihm Integration eigentlich das schaffen soll, "was sie im Grunde schon voraussetzt" und was in unserem "Einwanderungsland" kaum mehr in Rudimenten vorhanden ist - eine protestantisch grundierte "bürgerliche Wertegemeinschaft".

Roland Lhotta (Hg.): Die Integration des modernen Staates. Zur Aktualität der Integrationslehre von Rudolf Smend, Nomos Verlag, Baden-Baden 2006, broschiert, 211 Seiten, 29 Euro


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