© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Pankraz,
Goethe/Schiller und die Sprachpfleger

Soviel Ehre widerfuhr noch keinem anderen Geschäftsunternehmen. Goethe und Schiller, in trautester, engster Zusammenarbeit, widmeten im Jahre 1797, wie bekannt, der "Leipziger Büchermesse" ein ganzes eigenes Büchlein, die "Xenien", eine Sammlung von Distichen im Stile Martials, in der sie den damaligen Literaturbetrieb ätzend aufs Korn nahmen und sarkastischste Urteile über Kollegen und Verleger ausstreuten. Unter den Angepflaumten waren Zelebritäten wie Fichte und Jean Paul, Campe und Nicolai, die Schlegel-Brüder und die Stolberg-Brüder.

Auch die Messeleitung selbst und ihre Funktionäre bekamen genügend Fett weg. Gleich am Anfang wird ihr Zensor-Gehabe beim Zuteilen der Ausstellungsstände aufs Korn genommen. "Halt, Passagiere! Wer seid ihr? Wes Standes und Charakteres? / Niemand passieret hier durch, bis er den Paß mir gezeigt ... Öffnet die Koffers! Ihr habt doch nicht Kontrebandes geladen? / Gegen die Kirche? den Staat? Nichts von französischem Gut?"

Zensurgesinnung und öliges Eigenlob gehen in der Buchbranche meist zusammen, und auch darüber machen sich G&S lustig. Die Messeleitung tönt: "Hier ist Messe, geschwind, packt aus und schmücket die Bude, / Kommt, Autoren und zieht, jeder versuche sein Glück!" Aber das Kollektiv der Messebesucher murmelt voll Skepsis: "Wenige Treffers sind gewöhnlich in solchen Boutiquen, / Doch die Hoffnung treibt frisch und die Neugier herbei."

Die meisten Xenien interessieren heute leider nur noch Germanisten, weil nicht nur die Polemik-Anlässe längst historisch geworden sind, sondern auch die ganze Art der Literaturpolemik, wie sie hier zutage tritt. Der moderne Durchschnittsleser sagt sich verwundert: "Mein Gott, über was für Sachen haben die sich damals aufgeregt! Man schlägt sich doch nicht eines mißlungenen Reimes wegen!"

Gerade das aber war damals üblich. Literarische Fragen rangierten bei den Gebildeten gleichberechtigt neben politischen und weit vor ökonomischen; Pankraz findet, daß das nicht unbedingt gegen jenes Zeitalter spricht. Übrigens gibt es eine sich durchziehende Standardpolemik in den Xenien von G&S, die auch heute (wieder) aktuell ist und die sich soeben in einer etwas kuriosen Kontroverse zwischen den Städten Köthen und Mannheim niedergeschlagen hat.

Worum geht es? Im anhaltinischen Köthen ist die dort einst (im 17. Jahrhundert) aktive "Fruchtbringende Gesellschaft" neu gegründet worden, die sich - mitten im Dreißigjährigen Krieg! - der Pflege und Reinerhaltung der deutschen Sprache widmete. Mehrere moderne Sprachpflege-Vereine sind der neuen "Fruchtbringenden" sogleich beigetreten, und der Köthener Bürgermeister hat daraufhin seine Stadt stolz zum "Zentrum der deutschen Sprache" erklärt.

Umgehend erhob sich Protest aus Mannheim. Denn auch dort wurde einst, allerdings erst 1775, eine sprachpflegerische Gesellschaft gegründet, die sogar den jungen Schiller förderte. Außerdem beherbergt Mannheim seit 1953 das vor den Kommunisten aus Leipzig geflohene Bibliographische Institut nebst angeschlossener Dudenredaktion, und so fühlt sich die Stadt heute als "Hauptstadt der deutschen Sprache". Nicht in Köthen, sondern in Mannheim werde, zwar behutsam, aber verbindlich, die deutsche Sprache rein gehalten.

Köthen oder Mannheim, Zentrum oder Hauptstadt - beide Seiten sollten sorgfältig in den Xenien von Goethe und Schiller lesen. Nicht wenige dieser Xenien sind nämlich der Pflege und Reinerhaltung der deutschen Sprache gewidmet, aber es sind wie gesagt Polemiken, sogar sehr scharfe. Über den prominentesten Sprachpfleger der Zeit, den Braunschweiger Verleger und Pädagogen Johann Heinrich Campe (1746 bis 1818), wird regelrecht gehöhnt: "Sinnreich bist du, die Sprache von fremden Wörtern zu säubern; / Nun, so sage doch, Freund, wie man Pedant uns verdeutscht."

Viele erschraken damals über solche Töne. Campe ein Pedant? Hatte der Mann nicht großartige deutsche Neubildungen für fremdes Vokabular erfunden, an Klasse ebenbürtig den Schöpfungen Christian Wolfs, Martin Luthers, Meister Eckardts? "Erdgeschoß" für Parterre, "fortschrittlich" für progressiv, "Lehrgang" für Cursus, "Randbemerkung" für Glosse, "Stelldichein" für Rendezvous, "Feingefühl" für Takt, "Hochschule" für Universität. Usw. usw.

Nun, Goethe und Schiller waren die letzten, die die Leistungen Campes und anderer "Puristen" ignorierten, dafür gibt es Belege. Was sie aber störte, war der bürokratische, rohrstockhafte Eifer dieser Leute. Sprache, so wußten sie, ist ein überaus empfindliches Kulturinstitut, ein lebendiger Organismus, sie wächst und formt sich in Jahrhunderten auf spontane Weise und verträgt administrative Eingriffe, von welcher Seite auch immer, stets nur in winzigen, homöopathischen Dosen.

Nicht Ämter oder selbsternannte Schulmeister sind wirkliche Sprachbildner, sondern das Volk und seine Dichter und Sänger, Erfinder und Entdecker. Das gilt auch heute noch, im Zeitalter der bürokratischen Normierung und der "Globalisierung".

Was in Sachen Sprache von oben angeordnet wird oder über Fernseh- und andere Kanäle aus anderen Sprachen hereindringt und über keine hinreichende Volksunterlage verfügt, wird von den Sprechenden und Schreibenden einfach ignoriert, bzw. die alten Formen werden in den semantischen Untergrund verbracht, wo sie alsbald ein aufsässiges Habit gewinnen und zu überraschenden, hochoriginellen Neubildungen führen.

Solches also ist die Botschaft, die die G&S-Xenien heute wie damals, 1797 wie 2007, bereithalten. Natürlich sind Akademien, bibliographische Institute und fruchtbringende Gesellschaften nicht überflüssig. Die erste Geige in Sprachangelegenheiten aber bleibt der Sprache selbst und ihren spontan ausführenden Organen vorbehalten, nicht zuletzt den Dichtern. Die Buchmesse, sie hört's hoffentlich gerne.


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