© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

CD: Pop
Gegengift
Dominik Tischleder

Hier mein Junge, tu was für deine Bildung", mit diesen Worten soll der legendäre amerikanische Beatnik-Poet William Burroughs dem etwas jüngeren Jack Kerouac eine Ausgabe von Spenglers "Untergang des Abendlandes" überreicht haben.

Kerouac schrieb später "On The Road" ("Unterwegs"). Das Werk, in dem er seine abenteuerlichen Reisen quer durch die USA schildert, gilt als das literarische Manifest der Beatniks und beeinflußte die nachfolgenden Hippies zu Tausenden. Geistig mit an Bord, zumindest noch bei der ersten Beat-Generation, immer Oswald Spengler. An dieser Bewunderung des "Untergangspropheten" wird es vielleicht liegen, daß Spengler zwar nicht häufig, aber immer recht unvermittelt und stichwortartig im amerikanischen Pop-Kontext auftaucht. Zugleich finden sich seine Spuren auch bei englischen Postpunkgruppen, hier weniger gefiltert durch Hippie-Erfahrungen. Erwähnung findet er beispielsweise recht früh bei Death In June. Berüchtigt ihr Hit "Death Of The West", ein spenglerischer Abgesang auf den Westen, 1984 entstanden. Fortan häufen sich Gruppen, die Spengler die Ehre erweisen: Sol Invictus, Changes, NON und einige mehr. In den USA entsteht mit Feral House ein Buchverlag, der heute zu den wirkmächtigsten unabhängigen Verlagen im Land zählt. Hier schwelgt man geradezu in einer Mischung aus Unbehagen und Faszination, in einem "Fin de siècle"-Gefühl, immer auf der Suche nach einem Gegengift. Ihre Präsentation allein versteht sich als ein solches.

Die englische Gruppe Lady Morphia stammt aus diesen subkulturellen Zusammenhängen. Der Name ist eine Anspielung auf ein Gedicht des britischen Poeten Robert Graves. Dort wird geschildert, wie verwundeten Soldaten im Ersten Weltkrieg zur Linderung der Schmerzen Morphium, personifiziert durch die "Dame Morphia", verabreicht wurde. Die Gruppe zieht es jedoch vor, den "Schmerzen" standzuhalten. "Standhalten", in aussichtsloser Lage, schon das eine Haltung, die an Spengler erinnert. Gerade erschien ihr zweites Album "Essence and Infinity", das vollständig dem deutschen Philosophen gewidmet ist. Auf vorherigen Werken ließ man sich bereits von Ernst Jünger inspirieren.

Kenner der Materie werden sich in allen Belangen stark an Death In June erinnert fühlen, auch wenn man bedeutend rockiger klingt. Es tauchen deren typischen Bläser und ein Glockenspiel auf, dazu eine Wandergitarre, und über allem thront die warme Stimme von Sänger Nick Nedzynski, der sich auch wissenschaftlich in Form einer Dissertation mit der Konservativen Revolution auseinandersetzte.

Das besondere Gepräge des Albums entsteht jedoch erst durch die eingewobenen Ausschnitte aus deutschen Rundfunksendungen zu Spengler, oft werden auch längere Passagen aus dem "Untergang" vorgelesen. Der Hörer wird so einem steten Wechselspiel zwischen deutscher und englischer Sprache ausgesetzt, und es sind gerade die deutschen Erzählstimmen, die "Essence and Infinity" über weite Strecken wie ein Hörbuch wirken lassen. Das Album wird vor allem Spengler-Interessierte intellektuell anziehen.

Im Umkehrschluß heißt das aber auch, daß Lady Morphia zwar musikalisch überzeugen, aber noch nicht aus dem Schatten der großen Vertreter des Genres, allen voran der klassischen Alben von Death In June oder Sol Invictus, treten können. Nichtsdestotrotz ein spannendes, im vermeintlichen Widerspruch zum Thema hoffnungsfroh stimmendes, frühlingshaftes Album. Es sei dran erinnert, daß auch Spengler seinen "Untergang", wie er unaufhörlich betonte, für "Tatmenschen", nicht für grüblerische Pessimisten schrieb: "Ein Weltbild, in dem man leben, und nicht ein Weltsystem, in dem man grübeln kann, war das eigentliche Ziel meiner Arbeit."


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