© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

"Kein Volk kann ohne Helden leben"
Günter Brakelmann porträtiert Helmuth James Graf von Moltke, einen Kopf des Widerstandes vom 20. Juli 1944
Herbert Ammon

Im Rahmen des Gedenkens an den in diesem Jahre stattfindenden einhunderten Geburtstages Helmuth James Graf von Moltke - es wurde am 11. März 2007 mit einem ökumenischen Gottesdienst eröffnet - findet Ende September in Kreisau/Krzyzowa eine hochpolitische Veranstaltung statt: "Ein denkwürdiger Besuch in der Türkei 1943 - Moltke und die Türkeierfahrungen im Spiegel aktueller Debatten". Das Stichwort liefern zwei Reisen, die Moltke (1907-1945) als Emissär der Verschwörergruppe um Admiral Canaris nach Istanbul unternahm. Er sollte Kontakte zu den Amerikanern herstellen, um sie von den militärischen Umsturzplänen zu überzeugen und für tragfähige Friedensbedingungen zu gewinnen.

Bei seinem ersten Besuch im Juli 1943 traf er nur Botschafter Franz von Papen ("Er ist doch ein jämmerlicher Mann") sowie zwei Exilanten, den Agrarwissenschaftler Hans Wilbrandt und den Historiker Alexander Rüstow, die mit Ernst Reuter dem Deutschen Freiheitsbund angehörten. Enttäuscht war Moltke von der zum Nationalmuseum umgewandelten Hagia Sophia. Zudem fiel ihm auf, daß Juden und Levantiner in der türkischen Gesellschaft "geschnitten" würden.

Beim zweiten Besuch (11. bis 16. Dezember) fand eine Unterredung mit dem US-Militärattaché Richard G. Tindall statt, der sich nur an militärischen Geheimnissen interessiert zeigte. Zu dem avisierten Treffen mit dem aus Berliner Zeiten bekannten Alexander C. Kirk, jetzt Botschafter in Kairo, kam es nicht. Am 10. Januar 1944 antwortete Kirk in knappen Zeilen: "Ich freue mich immer, Sie zu sehen, glaube aber nicht, daß unser Treffen jetzt einem guten Zweck dienen würde, da nach meiner Überzeugung nichts anderes als die bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte den Krieg in Europa beenden wird." Das Schreiben erreichte den Adressaten nicht mehr. Moltke war am 19. Januar verhaftet worden.

Günter Brakelmann, Verfasser mehrerer Studien zum Kreisauer Kreis, hat die rastlosen Widerstandsaktivitäten Moltkes - völkerrechtliche Expertisen im Amt Canaris, ständige Reisen, teils zur Abwehr verhängnisvoller Kriegs- und Besatzungspraktiken, teils im Dienste der Verschwörung, Vorbereitung der "Kreisauer Tagungen", Ausarbeitung der Verfassungsentwürfe - biographisch rekonstruiert. Es entsteht daraus das bekannte Bild der "verlassenen Verschwörer" (Klemens von Klemperer). Das einzige Resultat der Istanbul-Reisen war ein von Wilbrandt und Rüstow für den US-Geheimdienst verfaßter Bericht, in dem sie behaupteten, Moltke ("Herman") habe sich die Forderung des unconditional surrender zu eigen gemacht. Im Gegensatz zu Eugen Gerstenmeier, der die Darstellung des "Herman-Dossiers" scharf zurückwies, meint Brakelmann, der Bericht sei nach "intensiven, stundenlangen Gesprächen mit Moltke entstanden".

Das Buch ist mit Akribie geschrieben, von gewissen Spekulationen ("muß", "sollte", "dürfte") und schiefen Interpretationen (Carlo Mierendorffs "anthropozentrischer Ansatz" - der Katholizismus als Baustein einer kommenden pluralistischen Gesellschaft) abgesehen. Falsch ist die Einlassung, die Sowjet-union habe sich "den Beschlüssen von Casablanca angeschlossen".

Moltkes südafrikanische Großeltern unternahmen 1919 eine Reise, um sich in Holland mit der Tochter und deren Familie zu treffen. Als die Bedingungen des Versailler Vertrages bekannt wurden, reagierte der Großvater James Innes Rose, ein hochangesehener liberaler Verfassungsrichter, mit Entsetzen. In den ersten Septembertagen 1939 schrieb Moltke, der sich nie Illusionen über Hitler gemacht hatte: "Wir sind ganz einfach in diesen Krieg gestolpert." Er wisse dies so genau, "wie man so etwas nur wissen kann". Inwieweit der Onkel Hans Adolf von Moltke, Botschafter in Warschau, zu solchem Wissen beitrug, läßt der Biograph offen.

Daß Moltke den Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 befürwortete, bevor die ersten Schreckensnachrichten über die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener ihn eines besseren belehrten, wirft ein bezeichnendes Licht auf die weltgeschichtliche Situation 1941. In einem langen Brief (25. März 1943) aus Stockholm, der seinen englischen Vertrauten Lionel Curtis nie erreichte, schrieb Moltke über die Verheimlichungstaktiken des NS-Regimes, die meisten wüßten nichts von den Massenmorden. "Wir haben vom Bau eines großen Konzentrationslager in Oberschlesien gehört, welches für 40-50.000 Personen angelegt ist, von denen monatlich 3-4.000 getötet werden sollen. Aber ich selbst bekomme alle diese Informationen nur in recht, vager, undeutlicher und ungenauer Form, obwohl ich mich ja bemühe, so etwas herauszufinden." Von Stauffenberg, mit dem er am 30. Dezember 1943 zusammentraf, war er nachhaltig beeindruckt. Bei ihm fand er die bei den Militärs lange vermißte Klarheit und den Willen zur Tat.

Die Persönlichkeit des Namensgebers des Kreisauer Kreises tritt in der Biographie anschaulich hervor: tief religiös, patriotisch und weltoffen. Aufgrund seiner südafrikanischen Mutter war Moltke von Haus aus weniger deutsch-national geprägt als viele der Standesgenossen aus dem schlesischen Adel. Ein eindrückliches Bild der Kindheit und frühen Jugend liefert der im Anhang beigefügte Brief "Wie alles war, als ich klein war". Moltke schrieb ihn in den ersten Tagen nach der Verhaftung an seine beiden Söhne. Der Brief Dokument einer untergegangenen Lebenswelt, ist eine hervorragende Geschichtsquelle. Das Bild eines friedlich geeinten Europa wurde im Kreis des Wiener liberal-jüdischen Ehepaars Schwarzwald genährt, in deren Begegnungsstätte "Seeblick" am Grundlsee er seine Frau Freya aus dem Kölner Bankhaus Deichmann kennenlernte. Seine Ideenwelt formulierte der junge Moltke erstmals 1928 in einem Brief an den Großvater ("Daddy"): Er fühle sich "politisch" in erster Linie der Landwirtschaft verpflichtet, zweitens "nicht trennbar vom ersten Punkt, für alles im Zusammenhang mit dem Osten Deutschlands, Europas; in dritter Linie für die Fragen Deutschlands und in vierter Linie für die europäischen Angelegenheiten". Es handelt sich um die konzentrische Anordnung von Pflicht und Verantwortung, wie sie in die politischen Konzepte des Kreises auf dem schlesischen Gutes, daß der berühmte Urgroßonkel und Namensvetter Helmuth von Moltke von einer Dotation des preußischen Königs Wilhelm I. für die Verdienste im gewonnenen Krieg gegen Österreiche 1866 erwarb, eingeflossen ist.

Dessen Absage an den Weimarer Parteienstaat, die Begründung demokratischer Teilhabe und Verantwortung "von unten" her, die Rückbindung der von Entwurzelung bedrohten Menschen an die christliche Glaubenstradition, die Heranbildung einer Elite an "Reichsuniversitäten", läßt sich wahlweise als "Personalismus" oder "Kommunitarismus" definieren. Die heutige Wirklichkeit, für die nicht einmal ein angemessener Begriff ("Postmoderne", "Risikogesellschaft", "Multikulti") zur Verfügung steht, ist mit derlei Konzepten schwerlich zu erfassen oder im angestrebten, elementar-christlichen Sinne zu humanisieren. Das Bestreben, den modischen Begriff der "Zivilgesellschaft" aus Kreisauer Entwürfen abzuleiten, verfehlt zudem den Geist der "vaterländischen Gefühle" (Peter Yorck von Wartenburg), der die Verschwörer des 20. Juli bewegte.

Nicht zufällig versagt sich der Autor einen historischen Ausblick auf die Gegenwart. Statt dessen zitiert er aus einer frühen Würdigung des Widerstands aus der Feder der Moltke-Freundin Dorothy Thompson (1946). Sie formulierte Moltkes Selbstverständnis angesichts Hitlers Machtübernahme: "Ich bin der älteste Sohn der Familie, und ich bin Deutscher. Ich kann nicht einfach vor der Verantwortlichkeit ausrücken."

Noch bemerkenswerter war ihre Einschätzung des deutschen Widerstands für das besiegte Deutschland: "Wenn wir Amerikaner klug wären, sollten wir die Augen des deutschen Volkes auf sie richten, damit Deutsche wieder auf Deutsche stolz sein können. Denn kein Volk kann ohne Helden leben, und die Völker werden zu dem, was sie anbeten. Niemals kann ein Volk 'demokratisch', ' friedensliebend', 'gut' gemacht werden durch selbstgerechte Predigten der Sieger, die von Gott niemals zu seinen höchsten Richtern auf Erden ernannt worden waren."

Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke 1907-1945. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2007, gebunden, 432 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro.

Foto: Helmuth James Graf von Moltke 1928 im Hotel "Seeblick" am Grundlsee/Steiermark: Tief religiös, patriotisch und weltoffen


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