© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Richtlinien für den Sozialarbeiter an der Front
Loretana de Libero fordert in ihrer Arbeit über die Traditionspflege in der Bundeswehr eine geistige Entmilitarisierung nicht nur von der NS-Vergangenheit
Clemens Range

Bundeswehr und Tradition - das war und ist ein Politikum. Vor dem Hintergrund der konzeptionellen Umstrukturierung der deutschen Streitkräfte hat Loretana de Libero, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Potsdamer Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA), jetzt eine Studie mit dem Titel "Tradition in Zeiten der Transformation" publiziert.

Betont wissenschaftlich heißt es in der Aufgabenstellung, es werde das offizielle Traditionsverständnis der Bundeswehr im Hinblick auf ihre Leitlinien, Werte und Vorbilder systematisch analysiert. Doch schon wenige Absätze weiter entlarvt sich die Autorin, die an der Universität Potsdam Alte Geschichte lehrt, indem sie bedauert, daß nicht in den "Reichsrumpelkammern", wie sie die sogenannten Traditionsräume der Kasernen nennt, "gestöbert" werde. De Libero konzentriert sich "nur" auf die offizielle Traditions-Selbstdarstellung der Bundeswehrführung, und dann beginnt ihr Trommelfeuer: Den ersten Generalinspekteur der Bundeswehr, Adolf Heusinger, bezeichnet sie als "Cunctator der Gründergeneration", der dem "Wiederbeleben unseliger Traditionen" durch zögerliches Abwarten begegnet sei. Ihr Blick ist denn auch verengt ausschließlich auf die zu verteufelnde Wehrmacht, wobei de Libero offensichtlich ausblendet, daß es gerade die etwa 40.000 einstigen Wehrmachtsoldaten waren, die die Bundeswehr rasch aufbauten und sich innerhalb der Nato einen hervorragenden Ruf erwarben.

Daß die Bundeswehr auf einer 300 Jahre währenden militärischen Tradition aufgebaut wurde, ignoriert sie weitgehend. Ihre Betrachtungsweise verengt sich vielmehr auf die Wehrmacht-Überlieferungen, die es aus ihrer Sicht nun endlich auszumerzen gilt. So fragt sie beispielsweise, inwieweit exponierte Funktionsträger mit Wehrmachtvergangenheit wie die Generale Hans Speidel, Josef Kammhuber oder Johannes Steinhoff "für den Bundeswehrsoldaten Vorbilder sein können". Aber auch Soldaten wie der einstige Generalinspekteur Klaus Naumann (Jahrgang 1939) werden von ihr attackiert. Ihm wirft die Historikerin vor, 1995 zum 40jährigen Bundeswehr-Jubiläum bei der Würdigung der im Dienst ums Leben gekommenen Soldaten in "archaischer Wehrrhetorik an diese 'Opfer' (...) die im Dienst für Deutschland ihr Leben ließen" zu erinnern.

Doch immer wieder kehrt de Libero in ihrer Schrift, deren Sprache in einigen Passagen jenen Hetzpamphleten totalitärer Systeme entspricht, zu der Wehrmachtstradition zurück. So hält sie es für nicht tragbar, daß verstorbenen Ritterkreuzträgern (allein 800 dienten in der Bundeswehr) von der Bundeswehr ein Ehrengeleit gestellt wird. De Libero hierzu: "War dieses Ritual für die frühe Nachkriegsgesellschaft und die junge Bundeswehr, die eine Vielzahl dieser von Adolf Hitler Geehrten aufgenommen hatte, wenig anstößig, mag es heute verwundern, wie militärische Auszeichnungen und Ehrungen durch ein Unrechtsregime überhaupt eine Richtschnur für Traditionsbildung in einer Demokratie sein konnten und es auch weiterhin sein können."

Natürlich versäumt die MGFA-Mitarbeiterin nicht, auch den "Fall" von Werner Mölders eingehend zu beschreiben. Sie stützt sich dabei - wie sollte es anders sein - auf das längst als völlig unseriös widerlegte Papier des MGFA-Oberstleutnants Wolfgang Schmidt und erneuert dessen Thesen. Schließlich schreibt sie: Mölders' "Verehrer" seien "resistent gegen wissenschaftliche Fakten". In diesem Zusammenhang ist auffallend, daß erneut auch der erfolgreiche Wehrmacht-Jagdflieger und spätere Vier-Sterne-General sowie Kasernenpatron Johannes Steinhoff angegriffen wird: "Wer Vorbildliches für den NS-Staat geleistet hat, kann nämlich kein Vorbild für die Bundeswehr respektive Luftwaffe sein."

Der wohl "unbelastetste Teil der Bundeswehrtradition" sei die "weibliche Komponente". Angesichts von fast 12.000 Soldatinnen bemühten sich die Führungskräfte der Bundeswehr, auch der Staatsbürgerin in Uniform "tragfähige Angebote in Sachen Tradition zu unterbreiten". Das Ziel sei es, die Frauen in die männlich geprägte militärische Organisation zu integrieren.

In der Schlußbetrachtung der unausgewogenen, typisch einem mittlerweile überholten Zeitgeist entsprechenden Lektüre kommt die Autorin zu dem Ergebnis, daß der "alte Krieger-Typ" im 21. Jahrhundert weitgehend "ausgedient" habe und der Soldat der Zukunft "nunmehr zugleich Beschützer, Diplomat und Sozialarbeiter" sein müsse. Die Bundeswehr habe in ihren fünfzig Jahren Reform-, Restaurations- und Revisionsphasen durchgemacht. "In ihrem Traditionsgepäck trägt sie alte Krieger, verwegene Flieger, verurteilte Kriegsverbrecher, NS-Opferhelden, Widerstandskämpfer, Bundeswehrsoldaten, Frontkämpfer jüdischen Glaubens, Wissenschaftler und Politiker." In den Kasematten lagere "Sprengstoft", der "entschärft werden muß". Es stimme sie optimistisch, daß sich "genügend Verständige finden", die die kalte Traditionsasche alsbald auskehren werden.

Das Buch der Anti-Wehrmacht-Forscherin, deren Arbeit übrigens am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in Strausberg entstanden ist, fügt sich nahtlos in die Reihe altbekannter linker Thesen. De Libero, eine Frau mit offensichtlich stark gestörtem Traditionsverständnis für gewachsene militärische Werte und Tugenden, verkennt indes, daß die historische Wahrheit ein wenig komplexer ist als von ihr einseitig dargestellt. Das Buch der Privatdozentin offenbart das Denken von geschickt agierenden Keimzellen in der sogenannten militärwissenschaftlichen Forschung, die nur ein Ziel konsequent verfolgen: die Bundeswehr geistig zu entmilitarisieren.

Loretana de Libero: Tradition in Zeiten der Transformation. Zum Traditionsverständnis der Bundeswehr im frühen 21. Jahrhundert. Hrsg. v. Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr. Schöningh Verlag, Paderborn 2006, broschiert, 237 Seiten, 19,90 Euro


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