© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Kunst schafft, wer Angst hat
Griechen und Apachen: Karen Michels bietet eine solide Einführung in die Welt Aby Warburgs, der "Ikone der Kulturwissenschaften"
Brigitte Vogel

Die großzügig illustrierte, bibliophil ambitionierte Biographie des Hamburger Kunsthistorikers Aby Warburg, die Karen Michels vorlegt, ist auf folgende Kernaussage reduzierbar: Ein Bankierssohn interessiert sich für das Fortleben der Antike in der Neuzeit, dem er in seiner dreißig Jahre währenden Privatgelehrtenexistenz so lange nachspürt, bis er 60.000 Bücher zum Thema gekauft und in einer eigens dafür gebauten Bibliothek untergebracht hat, die heute der Universität der Freien und Hansestadt angegliedert ist.

Mit der immer noch kanonischen, 400 Seiten längeren "intellektuellen Biographie", die von Ernst H. Gombrich 1970 als einem Beinahe-Zeitgenossen des 1929 verstorbenen Warburg stammt, kann Michels also nicht konkurrieren, denn die läßt sich keinesfalls auf einen Satz zusammenschrumpfen. Wer aber eine erste Bekanntschaft mit dem allerorten als "Ikone der Kulturwissenschaften" gepriesenen Warburg sucht, und der in den USA und in Deutschland mittlerweile auf inflationäres Ausmaß anwachsenden "Sekundärliteratur" ausweichen möchte, ist mit dem im Stil der "Kindler Bildbiographien" aus den frühen sechziger Jahren gehaltenen Michels-Essays bestens bedient.

Daß das "Werk" in diesem bescheidenen Rahmen hinter das "Leben" Warburgs zurücktritt, ist ohne weiteres verständlich. Es reicht indes, um beim Smalltalk vor Preisverleihungen und nach Ausstellungseröffnungen mithalten zu können. Denn Michels beschränkt sich dabei auf das Innovative von Warburgs kunstwissenschaftlichen Theorien, das allein seine Wiederentdeckung um 1980 und seine inzwischen global anerkannte Bedeutung zu erklären vermag. Wie bei den meisten "genialen", neue Weltwahrnehmungen ermöglichenden Theorien sind die Grundgedanken denkbar einfach.

Warburg war aufgefallen, daß der Renaissancekünstler Sandro Botticelli immer dann auf antike Formen zurückgriff, wenn er "leidenschaftlich bewegtes Leben" darstellte. Dies ließ sich für die italienische Kunst im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit verallgemeinern: Die Antikerezeption indizierte ein künstlerisches Streben nach "gesteigertem Ausdruck" seelischer Erregung. Damit richtete sich Warburgs Aufmerksamkeit, wohl unabhängig von Freud, auf die anthropologisch-psychologischen Grundlagen des "Kunstschaffens", das er über alle Zeiten hinweg als permanentes Bemühen interpretierte, die Gefährdungen durch das Irrationale einzudämmen. Zwanglos ergab sich aus dieser Perspektive sein Abschied von Winckelmanns idealisierter "klassischer" Antike der "edlen Einfalt und stillen Größe" und der Anschluß an Nietzsches Bild der gänzlich unedlen, "dionysischen" Griechen.

Bei einem Besuch im Apachenland (1895), in einer "Enklave primitiven heidnischen Menschentums", glaubte sich Warburg in die frühgriechische Frühzeit zurückversetzt und bestätigt. Mit seinem "denkwürdiger Vortrag" von 1923, der seine ethnologischen Beobachtungen des "Schlangenrituals" der Pueblo-Indianer verwertet, treffe Warburg einen "Nerv der Moderne", so Michels, weil er zeige, "daß allen Bemühungen der Aufklärung zum Trotz die menschliche Ratio immer wieder von Irrationalem bedroht", daß die Vernunft ständig von einem "Angstreflex" gefährdet werde.

Dieser Zugriff rückte Warburg nicht nur in Nietzsche Nachbarschaft. Er nahm damit auch den interdisziplinären Ansatz von dessen Basler Kollegen Jacob Burckhardt auf, der Kunst in Beziehung zur politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen setzte.

Ohne auf die in seiner Zeit sich schon artikulierenden marxistischen Schematismen zu verfallen, folgte Warburg Burckhardts Beispiel, Kunst- als Kulturgeschichte zu schreiben. Dies hob den privatisierenden Außenseiter aus der Masse der akademischen Positivisten wie der auf ästhetische "Wirkung" des Kunstwerkes beschränkten Fachvertreter heraus und bescherte seinem Werk ein "Fortleben" im 21. Jahrhundert.

Karen Michels: Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen. C. H. Beck Verlag, München 2007, gebunden, 128 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro


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