© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Viel Lärm um wenig
Berliner Erklärung: Die Regierungen sind erschreckend orientierungslos
Bernd Posselt

Wohl selten gab es soviel Lärm um so wenig wie im Vorfeld der sogenannten Berliner Erklärung zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge. Immerhin: Der Text der feierlichen Deklaration ist so abgefaßt, daß er niemandem schadet. Der Lärm wiederum war auf jeden Fall nützlich, denn er hat in Europa auch jene aufgeweckt, die sonst um das Thema Europäische Integration einen weiten Bogen machen. Endlich einmal setzte grenzüberschreitend die Debatte ein, die die EU fünfzig Jahre nach der Gründung von EWG und Euratom dringend braucht, nämlich jene um neue Formen und Inhalte des politisch geeinten Europa.

Was die Formen betrifft, so hat das Gezerre um eine relativ belanglose Resolution deutlich gemacht, was man spätestens seit dem Gipfel von Nizza wissen sollte - daß in einem Europa der 27 Mitgliedstaaten die intergouvernementale Methode so gut wie überhaupt nicht mehr funktioniert.

Zwei und demnächst vielleicht drei Dutzend Staats- und Regierungschefs können unmöglich das erreichen, was den Außenministern der einstigen Sechsergemeinschaft bei der Konferenz von Messina, die den Römischen Verträgen von 1957 voranging, noch gelang, nämlich miteinander und einvernehmlich etwas zu erarbeiten, das sich dann als generationenübergreifender großer Wurf erweist. Die Instrumente des in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts geschaffenen Kerneuropa, die schon damals als unzureichend kritisiert wurden, taugen jedenfalls nicht für eine potentielle Supermacht im 21., die eine halbe Milliarde Einwohner hat, also mehr als die USA und Rußland zusammen.

Dabei ist die europäische Einigung institutionell längst weiter, als dies die auf den Bildschirmen dominierenden Monster namens "Gipfel" oder "Rat" vermuten lassen. Das ursprünglich recht schwache Europaparlament hat sich seit der ersten Direktwahl von 1979 zu einer kämpferischen Volksvertretung entwickelt, die durchaus einmal von der Exekutive vorgelegte Gesetze nach intensiver Debatte in ihr Gegenteil verkehrt, tragfähige Kompromisse zwischen politischen und sozialen Kräften schmiedet, Kontrollrechte ausübt, die die Bürokratie schmerzen, den EU-Haushalt massiv abändert oder gar verwirft und auch schon eine EU-Kommission gestürzt hat.

Sechzig Prozent der Gesetze, die im guten wie im schlechten in Deutschland gelten, gehen auf europäische Gesetze zurück, die wiederum zu sechzig Prozent dem Mitentscheidungsverfahren unterliegen, in dem Rat und Parlament gleichberechtigt sind und die Volksvertreter das letzte Wort haben.

Die EU funktioniert, das beweist die Geschichte der letzten fünfzig Jahre, wenn sie sich auf klare Kernkompetenzen beschränkt, die Zuständigkeiten zwischen der europäischen Ebene und den Mitgliedstaaten vernünftig abgegrenzt sind sowie die Institutionen der sogenannten Gemeinschaftsmethode folgen. Letzteres bedeutet, daß die EU dort, wo sie aufgrund des von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Vertrages eindeutig zuständig ist, mit Mehrheit entscheidet: im von den Völkern gewählten Parlament, im Rat, der sich immer mehr in eine Staatenkammer verwandelt, und in der von Parlament und Rat gemeinsam bestimmten Kommission, die zunehmend die auf europäischer Ebene angesiedelten Exekutiv-Kompetenzen auf sich vereint, während Rat und Parlament die Legislative bilden.

Ein wichtiger Schritt in diese richtige Richtung ist der von achtzehn Mitgliedstaaten bereits ratifizierte EU-Verfassungsvertrag, der die Gemeinschaft außen- und innenpolitisch handlungsfähiger machen, aber gleichzeitig die Staaten und Regionen stärken und die parlamentarisch-demokratische Kontrolle ausbauen würde - letzteres übrigens sowohl, was das Europaparlament als auch, was die nationalen Parlamente betrifft.

Was den Inhalt Europas betrifft, so sind seine Regierungen von erschreckender Orientierungslosigkeit. Die christlichen Gründerväter wählten Rom auch deshalb als Unterzeichnungsort der Verträge von 1957, weil dort in der Spätantike erstmals jene drei Elemente miteinander verschmolzen worden waren, die der europäischen Kultur zugrunde liegen: christlicher Glaube, griechische Philosophie und römisches Recht. Theodor Heuss, kein konservativer Katholik, sondern ein liberaler Protestant, sprach als erster Bundespräsident noch ganz selbstverständlich davon, daß Europa auf drei Hügeln gebaut sei: Akropolis, Kapitol und Golgatha. Es ist geradezu absurd, daß diese geistigen Fundamente in der Berliner Erklärung keine Erwähnung finden durften. Dabei sind auch Liberalismus, Sozialismus und Laizismus ohne diese Wurzeln nicht denkbar.

Erst recht werden Christentum und klassisches Erbe gebraucht, um ein Europa kulturell zu erneuern, das sich sonst in einer immer gefährlicheren Welt nicht behaupten kann. Ein Europa ohne Europäer wäre sinnlos, und die jetzt in Berlin zum obersten Wert proklamierte Toleranz kann nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie andere Religionen, Kulturen und Überzeugungen vom festen Boden der eigenen Religion, Kultur und Überzeugung aus respektiert und diese nicht verleugnet.

 

Bernd Posselt, MdEP, ist außenpolitischer Sprecher der CSU im Europäischen Parlament und Präsident der Paneuropa-Union Deutschland.


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