© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

"Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen"
Der Afghanistan-Konflikt eskaliert, die Terrorgefahr wächst. Peter Scholl-Latour warnt vor den Konsequenzen
Moritz Schwarz

Herr Professor Scholl-Latour, Anfang April beginnt die Verlegung von sechs Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan. Was bedeutet diese weitere Verstrickung in den Krieg dort für Deutschland?

Scholl-Latour: Der Einsatz der Tornados hat keine entscheidende Bedeutung, er ist im Grunde nur ein Nebenaspekt. Entscheidend ist vielmehr die bereits erreichte de-facto-Verschmelzung der beiden Missionen Isaf und "Enduring Freedom", die zu einer Einbeziehung der Bundeswehr in die robuste Kriegführung in Afghanistan geführt hat - was völlig den ursprünglichen Resolutionen widerspricht! Was die Tornados angeht: Wenn man sie nun schon einsetzt, dann sollte man dem Volk wenigstens reinen Wein einschenken und ehrlich zugeben, daß es darum geht, Ziele für US-Bombenangriffe aufzuklären, es sich also um nichts anderes als um einen Kriegseinsatz handelt.

Die Unions-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und Willy Wimmer haben vergeblich versucht, den Tornado-Einsatz per Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht zu stoppen.

Scholl-Latour: Gauweiler und Wimmer sind alte Freunde von mir, und ich bedauere, daß ihr Versuch gescheitert ist. Denn auch mit diesen sechs Flugzeugen wird die Nato den Krieg nicht gewinnen. Darum geht es auch gar nicht, sondern darum, Deutschland immer tiefer in diesen Konflikt zu verwickeln.

Wie sehr hat der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bereits dazu beigetragen, uns ins Visier des Terrors zu bringen?

Scholl-Latour: Das läßt sich nicht so ohne weiteres beantworten.

"Die Regierung in Berlin nimmt die Warnung nicht zur Kenntnis"

Wir haben das Afghanistan-Engagement Stück für Stück ausgeweitet: Kabul, Kunduz, Faisabad, Masar-i-Scharif - jetzt die Tornados.

Scholl-Latour: Das ist keine Ausweitung, sondern eine Verlagerung des Schwerpunktes von Kabul nach dem Norden, nach Masar-i-Scharif, wo jetzt auch die Tornados stationiert werden. Dabei ist diese Verlagerung im Grunde ein Vorteil für die Bundeswehr, denn im Norden leben die Tadschiken, die 2001 die Fußtruppen der Nordallianz gestellt haben und mit denen es keine Probleme gibt. Anders sieht es allerdings in der Gegend um Kunduz aus, denn die ist von Paschtunen bevölkert, die nicht so sehr mit den westlichen Truppen harmonieren.

Sie haben mehrfach den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gefordert. Warum?

Scholl-Latour: Weil der Afghanistan-Krieg nicht gewonnen werden kann! Ganz einfach! Obendrein wird der Krieg auch noch unzureichend geführt: Es existieren weder ein Worst-Case-Szenario noch eine Exit-Strategie. Das heißt, man hat sich keine Gedanken darüber gemacht, was man tut, wenn die Situation sich plötzlich dramatisch verschlechtern sollte, bzw. wie man langfristig aus der Situation herauskommt. Das aber sind die Grundvoraussetzungen für eine verantwortungsbewußte militärische Intervention. Die Regierung in Berlin dagegen nimmt die Warnungen der militärischen Kommandeure im Land, des BND und unseres Botschafters in Kabul einfach nicht zur Kenntnis, sondern opfert sie bündnispolitischen Erwägungen.

Die Mehrheit der Bevölkerung im Irak wünscht den Abzug der westlichen Truppen. Wie schätzen Sie diesbezüglich die Afghanen ein?

Scholl-Latour: Die wünschen das ebenso brennend. Die Amerikaner sind in Afghanistan mittlerweile genauso verhaßt wie in den achtziger Jahren die Russen.

"Die deutschen Medien hinter dem Vorhang der Selbstzensur"

Peter Gauweiler äußerte in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung": "In Afghanistan werden durch Nato-Angriffe ganze Großfamilien ausgelöscht ... Wir können uns doch nicht an solchen unerhörten Vorgängen beteiligen und mit unschuldigem Augenaufschlag darauf reagieren, wenn die so angegriffenen irgendwann in unseren dichtbesiedelten Städten mit ihren Mitteln antworten."

Scholl-Latour: Na, da hat der Mann im Prinzip doch völlig recht! Und im übrigen sollten wir uns nicht einbilden, daß wir vom Terror verschont werden, weil wir ein paar Stammesfürsten durch den Hindukusch jagen.

Im Klartext heißt das doch, die Bundeswehr wird dort als Teil einer Invasionsmacht, Deutschland als Aggressor wahrgenommen. Glauben Sie, daß sich die Deutschen dessen bewußt sind? Offenbar machen wir uns nicht klar, daß die Moslems uns als Besatzer sehen, egal wie überzeugt wir selbst davon sind, nur Aufbauhelfer und Friedenssicherer zu sein.

Scholl-Latour: Es ist doch kein Wunder, daß die Deutschen das nicht wahrnehmen. Denn unsere Medien haben keinen Korrespondenten mehr vor Ort, und wenn mal einer dort ist, dann wird er nicht befragt. Ich habe unlängst die Region bereist und könnte entsprechend Auskünfte geben, aber man will es von mir nicht wissen. Ich weiß nicht, warum, aber die deutschen Medien lassen inzwischen den Vorhang der Selbstzensur runter.

Noch weniger Interesse als für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zeigt unsere Öffentlichkeit für die derzeit im Irak entführte Deutsche und ihren Sohn, die eine bislang unbekannte Gruppe mit dem Namen "Pfeile der Rechtschaffenheit" umzubringen droht, sollte sich die Bundeswehr nicht aus Afghanistan zurückziehen.

Scholl-Latour: Dazu möchte ich vor allem zunächst einmal feststellen: Es ist es völlig unislamisch, eine Frau, zumal wenn sie schon sechzig ist, als Geisel zu nehmen!

Bedauern Sie, daß unsere Öffentlichkeit praktisch keinerlei Anteilnahme am Schicksal der Geiseln zeigt?

Scholl-Latour: Die Deutschen haben überhaupt wenig Interesse an der Entwicklung in Afghanistan und im Irak. Schauen Sie sich die Themen unserer Talkshows an: Familienpolitik, Gesundheitsreform, Nichtraucherschutz - alles wichtig, aber alles innenpolitischer Krimskrams. Für die existentiellen außenpolitischen Fragen besteht dagegen kaum Interesse - und Afghanistan kann eines Tages eine sehr grausame außenpolitische Angelegenheit für uns werden! Die Deutschen leben eben in einer Scheinwelt der eingebildeten Sicherheit, weil sie über sechzig Jahre nur Frieden erlebt haben.

Am 11. März erschien eine Video-Terrordrohung gegen die Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Wie ernst ist das zu nehmen?

Scholl-Latour: Das sollten wir ignorieren. Es gibt keinerlei Hinweis, daß die Verantwortlichen wirklich etwas zu sagen haben.

Auch Spanien war vor den Anschlägen von Madrid per Video-Botschaft gewarnt worden: Rückzug aus dem Irak oder Anschläge! Am 11. März 2004 starben dann 191 Spanier durch eine konzertierte Anschlagsserie.

Scholl-Latour: Was meinen Sie, wie viele Video-Drohungen durch die Welt schwirren? Statt so etwas ernst zu nehmen, sollten wir lieber endlich anfangen, mit den wirklich entscheidenden Figuren ins Gespräch zu kommen, und nicht nur mit denen, die wir selbst installiert, die aber nichts zu sagen haben. Das heißt zum Beispiel für Afghanistan: Kriegsherr Gulbuddin Hekmatjar und nicht nur Präsident Hamid Karzai.

Bundesregierung und fast alle Bundestagsparteien nehmen solche Drohungen stets als Beleg für die Notwendigkeit der Beteiligung am "Krieg gegen den Terror". Die Argumentation der Terroristen ist dagegen, die Drohungen seien Folge dieser Beteiligung. In welche Richtung knüpft sich die Kausalkette nun richtigherum?

Scholl-Latour: Ich weiß nicht, warum die deutschen Politiker stets amerikanischer sein wollen als die Amerikaner selbst. Drei Viertel der Abgeordneten im US-Kongreß glauben inzwischen, daß der Irak-Krieg die Terrorgefahr erhöht hat! Trotz dieser Erkenntnis ist man aber bei uns von einer Servilität gegenüber den USA, die weit über das hinausgeht, was sich die Amerikaner an freundschaftlichem Verhalten von uns erwarten.

Wie wahrscheinlich ist es, daß es zu einem großen Terroranschlag in Deutschland kommt?

Scholl-Latour: An solchen Spekulationen werde ich mich nicht beteiligen. Ich sage allerdings: Wenn sie erstmal angefangen haben, in Berlin, Hamburg oder Düsseldorf zu bomben, dann dürfen wir uns nicht erpreßbar zeigen, sondern müssen die Charakterkraft aufbringen, das durchzustehen!

Ist das Ihr Ernst?

Scholl-Latour: Man kann auch mit dem Terror leben. Briten, Franzosen und Spanier, die alle ihr historisches Terrorproblem hatten, beweisen das.

Am 20. März hat sich der amerikanische Angriff auf den Irak zum vierten Mal gejährt. Welche Perspektive sehen Sie für die Zukunft?

Scholl-Latour: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß der Irak auseinanderbrechen wird. Die Art und Weise, wie man die Debatte über einen Rückzug in den USA führt, zeigt, daß es früher oder später zur Räumung kommt, während die Politik bei uns davon spricht, daß die Bundeswehr noch auf zehn Jahre in Afghanistan bleiben wird. Man fragt sich, ob die deutschen Politiker die Realität nicht wahrnehmen.

"Iran: US-Schlag gegen Teheran, Irak: Flächenbrand der Zukunft"

Droht mit der Irakisierung Afghanistans ein Zusammenwachsen der beiden Kriege zu einer Art "Super-Vietnam"?

Scholl-Latour: Nein, denn beide Kriege haben im Grunde wenig miteinander zu tun. Wie in Vietnam versucht man zwar, das Problem in Afghanistan und im Irak mit immer mehr Truppen und immer mehr Technik zu lösen, und wie in Vietnam wird man damit scheitern. Aber: Entgegen allen Befürchtungen - Stichwort: Dominotheorie - waren die geostrategischen Folgen der US-Niederlage in Vietnam beinahe gleich Null. Ähnlich ist es zwar auch mit Afghanistan, das geostrategisch nur eine drittrangige Größe darstellt, ganz anders allerdings der Irak: Dort werden die geostrategischen und politischen Folgen enorm sein! Dabei ist viel wichtiger als die Frage der US-Präsenz der durch die Beseitigung Saddam Husseins ausgebrochene Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Die Schiiten sind zwar in der Umma nur eine Minderheit, aber zwischen Afghanistan und dem Mittelmeer sind sie die Mehrheit. Die schiitische Hisbullah ist im Moment die schlagkräftige Partisanentruppe der Welt! Deshalb besteht auch immer noch die Gefahr, daß die Amerikaner zum militärischen Schlag gegen den Iran ausholen, denn Washington befürchtet, daß Teheran dann zur Führungsmacht am Persischen Golf avancieren wird. Der Irak mit seiner Lage, seinem Erdöl, seinen verschiedenen, einerseits von Iran, andererseits von Saudi-Arabien beeinflußten Glaubensrichtungen und der ungelösten Kurden-Frage im Norden kann wirklich zum Flächenbrand der Zukunft werden.

 

Prof. Dr. Peter Scholl-Latour, Jahrgang 1924, warnt seit langem vor der unterschätzten Gefahr des deutschen Engagements am Hindukusch und eines islamistischen Terrors auch in unseren Städten. Vor allem in den jüngsten unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen widmete er sich der Auseinandersetzung zwischen Islamismus und westlicher Welt: "Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?" (Propyläen, 2002), "Weltmacht im Treibsand. Bush gegen die Ayatollahs" (Propyläen, 2004) und "Koloß auf tönernen Füßen. Amerikas Spagat zwischen Nahem und Fernem Osten" (Propyläen, 2005).

 

Stichwort: "Isaf" und "Enduring Freedom": Die International Security Assistance Force (Isaf) - Deutschland stellt 3.000 Mann (bislang 22 Tote) - soll für die Stabilisierung Afghanistans nach der Entmachtung der Taliban 2001 sorgen. Damit ist ihr Mandat deutlich getrennt von der Operation Enduring Freedom (OEF), die den "Krieg gegen den Terror" und gegen die Taliban führt. Deutschland ist nur außerhalb Afghanistans an OEF beteiligt: Marineverband am Horn von Afrika mit derzeit 254 Mann (keine Toten).

 

Foto: Scholl-Latour im Irak, 2002: "Afghanistan kann für uns zur grausamen Angelegenheit werden", und "wenn sie in Berlin, Hamburg oder Düsseldorf bomben, müssen wir es durchstehen"

 

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