© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Aristokrat der Gefühle
Frauenschicksale: Vor fünfzig Jahren starb der Regisseur Max Ophüls
Martin Lichtmesz

Max Ophüls ist heute eher als französischer denn als deutscher Regisseur in Erinnerung geblieben. Der Grenzgang zwischen beiden Nationen war ein Leitmotiv seines Lebens. Ophüls, der Sohn eines jüdischen Textilhändlers, wurde als Max Oppenheimer 1902 in Saarbrücken geboren, mithin im Saarland, einem zentralen Zankapfel der feindlichen Nachbarn. Ophüls, der 1933 nach Paris emigriert war, geriet 1935 zwangsläufig ins Lager der sich in der verschwindenden Minderzahl befindenden Befürworter des "Status quo" der Region. 1938 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an. In Frankreich hat Ophüls seine berühmtesten Filme gedreht: "La ronde" (Der Reigen, 1951), "Madame de ..." (1953) und "Lola Montez" (1955).

Die französische Kritik nahm Ophüls indes bis zuletzt als Fremden wahr. Georges Sadoul kritisierte seinen "germanisme", während André Bazin seine Maupassant-Verfilmung "Le plaisir" (Pläsier, 1952) als unangemessen empfand und fälschlicherweise auf die "wienerische Herkunft" des Regisseurs verwies - ein Irrtum, der sich Ophüls' großer Affinität zu Arthur Schnitzler verdankte, den er zweimal verfilmte.

Vergleichbar intensiv war allerdings auch seine tief empfundene Wahlverwandschaft mit Frankreich, speziell Paris. Folgt man Walter Benjamin, war Paris "die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts". Max Ophüls, der ruhelose Exilant, hatte mehr noch als an einem Ort in dieser Zeit seine Heimat: Kein anderer Regisseur wußte die belle époque so lebensecht in Szene zu setzen wie er.

Max Ophüls begann seine Karriere als Theaterregisseur und -schauspieler, unter anderem am Wiener Burgtheater, in Breslau und Berlin. 1931 debütierte er beim Film mit einem kurzen Sketch nach Erich Kästner. Es folgten drei Spielfilme, darunter "Lachende Erben" (1932) mit Heinz Rühmann. Der erste "richtige" Ophüls-Film war jedoch "Liebelei" (1933) nach einem Stück von Arthur Schnitzler mit Magda Schneider, Wolfgang Liebeneiner und Gustaf Gründgens in den Hauptrollen. Mit seinem kongenialen Kameramann Franz Planer arbeitete Ophüls hier erstmals, noch technisch unzulänglich, mit den raumdurchschweifenden Kamerafahrten, die sein Markenzeichen wurden. Die tödlich endende Liebesgeschichte im Wien des Jahres 1900 bedeutete seinen Durchbruch als Filmregisseur; die gleichzeitig gedrehte französische Fassung wurde sein Eintrittsbillett nach Frankreich, wo er bis zu seiner weiteren Emigration in die USA im Jahre 1941 kontinuierlich arbeitete.

In Hollywood blieb er über lange Zeit hinweg praktisch arbeitslos, mehrere Filmideen lassen sich nicht verwirklichen. Erst 1947/48 folgten "The Exile" (Der Verbannte), und die Stefan-Zweig-Verfilmung "Letter From an Unknown Woman" (Brief einer Unbekannten). Mit einem weiteren Stoff nach Schnitzler, "La ronde", kehrte Ophüls schließlich triumphal nach Frankreich zurück.

Die vier Filme, die er dort bis zu seinem frühen Tod 1957 fertigstellen konnte, gelten als seine vollkommensten und einflußreichsten Werke. Ophüls war ein Meister der Plansequenz, der Auflösung einer Szene in ungeschnittene raffinierte Kamerabewegungen anstelle einzelner Einstellungen.

Ophüls' Kamera fegt wie schwerelos durch den Raum, klettert Hausfassaden empor, stürmt Wendeltreppen und Zirkustrapeze im Eiltempo hinauf und hinab, folgt seinen sich ständig in Bewegung befindenden Figuren durch ungezählte Türen und Torbögen, scheint quer durch die Ballsäle selbst mitzutanzen. Häufig fotografiert Ophüls seine Protagonisten durch Schleier, Gitter, Vorhänge, Scheiben und Spiegel hindurch. Damit schuf er einen Kosmos, der realistisch und künstlich zugleich wirkt: Kostüm und Dekor als bloße Schauwerte treten zurück vor der in jedem Detail lebendigen Welt, die der Regisseur vor den Augen des Zuschauers entfaltet.

Sein wiederkehrendes Thema sind Traum, Illusion und Wirklichkeit der Erotik. Dabei steht stets das Schicksal der Frauen im Vordergrund: Lisa Berndle aus "Letter From an Unknown Woman", die namenlose "Madame de ..." und Lola Montez zählen zu den großen Frauengestalten des Kinos. Kein Zufall, daß Ophüls' bevorzugte Epoche die Jahrhundertwende war. Leidenschaft und Konvention, schöner Schein und harte Notwendigkeit stehen in einem verhängnisvollen Spannungsverhältnis. Nur allzu schnell schlägt der Walzertraum in die Tragödie um. Hinter dem Flitter, dem Luxus, dem Rausch der Sinne wird eine tödliche Leere spürbar.

In Ophüls' letztem Film "Lola Montez" (1954) verbinden sich barockes Spektakel und Bitterkeit auf schier unüberbietbare Weise. In Farbe und Cinemascope, alle Erzählkonventionen über den Haufen werfend, zieht der Regisseur sämtliche Register seines Könnens, um zu einem pessimistischen Fazit zu gelangen. Das an unwahrscheinlichen Liebesabenteuern reiche Leben der Lola Montez endet schließlich gedemütigt in einem amerikanischen Zirkus, der sie als das "gefährlichste Raubtier des Jahrhunderts" den sensationslüsternen Massen vorführt: "Ein Märchen ist's, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet" (Shakespeare).

Max Ophüls, der Aristokrat der Gefühle, starb am 27. März 1957 in Hamburg. Seine letzte Ruhestätte fand er in Frankreich, auf dem Friedhof Père-Lachaise in Paris.

Foto: Martine Carol in dem Ophüls-Film "Lola Montez": Hinter dem Flitter wird eine tödliche Leere spürbar

Foto: Max Ophüls


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