© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Globalisierung ist nicht schicksalsgegeben
Der US-Nationalökonom Joseph Stiglitz möchte nur die Stellschrauben des "freien Welthandels" justieren
Alexander Griesbach

Nach seinem Bestseller "Die Schatten der Globalisierung" (Berlin 2002) wendet sich der ehemalige Chefvolkswirt der Weltbank und Nobelpreisträger für Wirtschaft Joseph Stiglitz in seinem jüngsten Buch den "Chancen der Globalisierung" zu. Wer an dieses Buch mit der Erwartungshaltung herangeht, daß Stiglitz seine Vorstellungen einer "gerechteren Weltwirtschaftsordnung" entfaltet, der liegt nicht falsch.

In der Tat präsentiert Stiglitz eine Art Gegenprogramm zu einer Entwicklung, die bisher dazu geführt habe, daß die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer. Ausnahmen wie China und Indien bestätigen aus seiner Sicht nur die Regel. Ein Grund für diesen Befund ist laut Stiglitz die Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF), dessen Vorgaben gegenüber den sogenannten Entwicklungs- und Transformationsländern, die häufig eine übereilte Liberalisierung ihrer Finanzmärkte und die Abschaffung der Kapitalverkehrskontrollen nach sich zogen, Kapitalflucht und Devisenspekulation begünstigt hätten. Stiglitz hält fest, daß "in praktisch allen Fällen, in denen die Rezepte des IWF ausprobiert wurden", der Abschwung verschlimmert wurde. China hingegen, das sich nie um die Doktrinen des IWF gekümmert hat, gehört heute zu den Gewinnern der Globalisierung. Stiglitz plädiert deshalb für eine Besinnung des IWF auf dessen genuine Aufgabe, nämlich im Fall von Finanzkrisen zu intervenieren. Oft habe die Politik des IWF nur dazu geführt, daß die Gläubiger von Entwicklungsländern profitierten.

Scharf wendet sich Stiglitz auch gegen die politischen Forderungen, mit denen der IWF eine Kreditvergabe verknüpft, was er als einen Eingriff in die politische Souveränität der abhängigen Staaten darstellt. Diese Kritik hat zum Teil zu scharfen Reaktionen gegenüber Stiglitz geführt, dem unter anderem vorgehalten wurde, vor allem eine Kritik des IWF zu betreiben, ohne sich aber mit der Globalisierung analytisch auseinanderzusetzen bzw. eine fundierte Kritik zu formulieren. Kritisiert wurde des weiteren die "Geschichtslosigkeit" der Stiglitzschen Thesen, die sich vor allem auf die letzten 15 Jahre bezögen, den Zeitraum davor aber nicht in den Blick nähmen. Entsprechend defizitär müßten seine Analysen ausfallen.

In der Tat bleibt der Begriff von Globalisierung, mit dem Stiglitz operiert, indifferent. Lapidar stellt er zum Beispiel fest: "Die Globalisierung ist weder gut noch schlecht." Ihre Ursachen verortet er vor allem im technischen Fortschritt und in den politischen Entscheidungen zum Abbau von Handelshemmnissen. Mit dieser Sicht hebt sich Stiglitz allerdings vom Chor der meisten Globalisierungsanalysten ab, die die Zwangsläufigkeit des Prozesses hervorheben. Stiglitz stellt hingegen fest, daß die Globalisierung eben kein Schicksal sei, sondern vielmehr das Ergebnis politischer Steuerung und Durchsetzung bestimmter ökonomischer (neoliberaler) Theorien, die als Marktradikalismus im Sinne des "Washington Consensus" bezeichnet werden können. Der "Washington Consensus" steht, um es knapp zu sagen, für Privatisierung, Liberalisierung und ausgeglichene Haushalte. Dieser Marktradikalismus ist denn auch der Gegner, gegen den sich Stiglitz in seinem neuesten Buch vor allem wendet. Weil dessen Theorien für viele Fehlentwicklungen der Globalisierung verantwortlich seien, sei es höchste Zeit, sich Gedanken über eine Umsteuerung zu machen.

Bei dieser Umsteuerung kommt aus der Sicht von Stiglitz dem Staat eine zentrale Rolle zu. Die Doktrin des schwachen Staates, wie ihn neoliberale Theorien nahelegen, ist für Stiglitz nicht nur überholt, sondern falsifiziert. Zwischen Markt und Staat sei statt dessen ein angemessenes Verhältnis bzw. Gleichgewicht herzustellen. Man müsse zur Kenntnis nehmen, daß auch andere Modelle der Marktwirtschaft als das angloamerikanische zu einem anhaltenden Wachstum führen können. Namentlich erwähnt Stiglitz hier das schwedische Modell, das zwar nicht einfach auf andere Staaten (Entwicklungsländer) übertragbar sei, aber dennoch beweise, daß alternative Formen der Marktwirtschaft zum Erfolg führen können.

Um das heutige Motto der Globalisierung "Wer hat, dem wird gegeben" durchbrechen zu können, fordert Stiglitz unter anderem, daß die Wohlstandsstaaten ihre Märkte für Entwicklungsländer öffnen sollten, und zwar ohne Gegenleistung. Internationale Kapitalströme sollten besteuert werden und das erhobene Steueraufkommen in den Aufbau der Infrastruktur in Afrika, Lateinamerika oder anderswo fließen. Die Stimmrechtsverteilung in Weltbank und Internationalem Währungsfonds müsse abgeändert und das Vetorecht der allzu dominierenden USA zumindest begrenzt werden.

Stiglitz ist, das macht auch sein neuestes Buch wieder deutlich, kein Gegner der Globalisierung, sondern jemand, der bestimmte Stellschrauben neu justieren will, um die Weltwirtschaft "fairer" gestalten zu können. Diesem Bestreben stehen aber harte, konkrete Interessen gegenüber, die die Globalisierung in jene Richtung gelenkt haben, gegen die Stiglitz zu Felde zieht.

Die kritische Reflexion dieser Interessen, seien sie nun politischer oder finanzieller Natur, schlägt sich bei Stiglitz aber in keiner Weise nieder. Sie zu benennen, würde Stiglitz möglicherweise in Konfrontation mit dem US-amerikanischen Finanz-Establishment bringen. Damit seine Forderungen aber jemals Realität werden können, bedarf es der Zustimmung genau jener Kreise, die durch die Globalisierung immer reicher werden.

Wie Stiglitz, dieser "good guy" unter den Nationalökonomen, dieses Dilemma lösen will, das verrät er dem Leser leider nicht. Genau dies aber wäre entscheidend gewesen, soll dieses Buch mehr sein als all das, was bisher in wohlmeinender Absicht aus globalisierungskritischer Perspektive zum Thema publiziert wurde. 

Joseph Stiglitz: Die Chancen der Globalisierung. Sieder Verlag, München 2006, gebunden, 448 Seiten, 24,95 Euro


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