© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

Kolumne
Vom Recht auf einen natürlichen Tod
Klaus Motschmann

In der "Orientierungsdebatte" des Bundestages zur Frage der Patientenverfügungen hat eine beachtliche Mehrheit von Abgeordneten die Meinung vertreten, daß in Zweifelsfällen der "absolute Schutz des Lebens" Vorrang vor dem Willen des Patienten haben müsse. (Eine Äußerung, auf die man im Zusammenhang mit der Abtreibungspraxis in Deutschland seit langem gewartet hat.) Das Leitmotiv "Ehrfurcht vor dem Leben" geht bekanntlich auf Albert Schweitzer zurück und hat in allen religiösen und weltanschaulichen Lagern breite Zustimmung gefunden. Die sehr einfache, aber dadurch überzeugende Aussage lautet: "Gut ist, Leben zu erhalten und zu fördern; böse ist, Leben zu vernichten und zu hindern". Diese Aussage bedarf jedoch einiger kritischer Anmerkungen.

Die Fixierung des ethischen Handelns auf das "Leben" kann sehr schnell doktrinäre Züge annehmen und zu einer Ideologie entarten, die als "Terror der Humanität" empfunden werden muß. Auch ein schwerstgeschädigter Patient ohne jede Aussicht auf Linderung, geschweige denn Heilung seines Leidens "lebt" - und hat demnach auch das Recht auf "absoluten Schutz" seines Lebens. Mit welchem Recht wird ihm aber die Möglichkeit eines menschenwürdigen, natürlichen Todes genommen?

Christliche Theologen haben sich deshalb nur mit deutlichem Vorbehalt für dieses Prinzip ausgesprochen, weil "das Leben selbst und als solches auf dieser ganzen Linie als Herr, Lehrer und Gebieter verstanden wird. In dieser tyrannischen, totalitären Funktion ist der Begriff des Lebens in einer theologischen Ethik nicht anwendbar" - so Karl Barth, einer der maßgebenden evangelischen Theologen des vorigen Jahrhunderts. Gott allein ist der Herr des Lebens. Er allein bestimmt Anfang und Ende des Lebens. Der Mensch hat es nur als "Leihgabe" empfangen, über die er Rechenschaft abzulegen hat. Deshalb ist es dem Menschen verwehrt, gegen Gottes unmißverständlichen Willen einen Menschen unter allen Umständen am Leben zu erhalten. "Das kann nicht nur zu einem allzu primitiven, sondern auch zu einem sündigen und aufrührerischen Begehren werden" (Barth).

Franz Kafka hat als Sterbender von seinem Arzt die erlösende Morphiumspritze mit der Begründung gefordert: "Töten Sie mich, denn sonst sind Sie mein Mörder!" Darüber sollte ernsthaft nachgedacht werden. Die Betrachtungen zum Karfreitag und zu Ostern vermitteln zum Verständnis dieser Problematik hoffentlich manchen Anstoß.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste Berlin.


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