© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

CD: Klassik
Vormärzliches
Jens Knorr

Das Jahr 2006 war auch ein Robert-Schumann-Jahr (JF 31-32/06), doch stand der große Romantiker und Antiromantiker, Kunst- und Wahnsinnige im Jahr seines 150. Todestags im Schatten anderer Meister, Mozart allen voran. Dabei ist er von allen der Interessanteste.

Geben Leben und Werk immer weiter Rätsel auf, so scheint ein Rätsel wenigstens gelöst. Mit der Veröffentlichung der Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössischen Berichte über Schumanns Aufenthalt in der Nervenheilanstalt Endenich innerhalb der Schriftenreihe "Schumann-Forschungen" der Robert-Schumann-Gesellschaft konnte die These einer luetisch bedingten fortschreitenden Paralyse als Schumanns Todeskrankheit erhärtet werden, auch wenn das einigen Herren und Damen der Schumann-Gesellschaft noch immer nicht schmecken will.

So unabdinglich die Kenntnis von Schumanns Verfall für das Verständnis seines Spätwerks ist, so wenig läßt sich das ganze, das Spätwerk eingeschlossen, als notenverschlüsseltes Krankheitsbild abtun, das in die Schublade Genie und Wahnsinn gehöre, auch wenn seit der Diagnose von 1831, die ihm wahrscheinlich von ärztlicher Seite gestellt wurde, Schuldgefühle und Versagensängste sein Komponieren angetrieben haben mögen. Doch ebensowenig läßt sich der Komponist dem politischen Menschen Schumann subsumieren, dem konspirativen Davidsbündler, der seine Schaffskraft vorbehaltlos vormärzlichen liberalen Strömungen in Dienst gestellt und dessen Schaffenskraft habe versiegen müssen, nachdem er sich 1848 enttäuscht von allem blutigen Revoluzzen abwandte.

Noch einmal: Von allen Komponisten ist er ist der interessanteste, weil widersprüchlichste. Davon aber klang in bisherigen Einspielungen seiner vier Symphonien kaum je etwas auf, zumal Interpreten mit vagen Hinweisen auf die Alter egos des Komponisten, das ungleiche Zwillingspaar Eusebius, den Milden, und Florestan, den Wilden, meist schon alles geklärt wähnten. Gar nichts ist geklärt bei dem Meister der kleinen Form, der sich, sobald er die große erzwingen wollte, ob Oper, Oratorium oder Symphonie, angeblich so rettungslos verhob.

An Rettungsversuchen hat es nicht gefehlt, berühmt wurden die Mahlerschen Bearbeitungen, und noch Michael Gielen, ein Komponistendirigent von Rang, hat Schumanns Orchestrierung durch Retuschen aufzuhelfen versucht. Daß sich die angestrebte Wirkungsabsicht auch ohne diese verwirklichen läßt, beweist eine Einspielung der vier Schumann-Symphonien - ohne die vom Komponisten verworfene "Zwickauer" Symphonie, aber für die zweite bis vierte mit der neuen Ausgabe von Joachim Draheim - durch das Tonhalle-Orchester Zürich unter David Zinman (BMG/Arte Nova Classics 82876 57743 2).

Das Tonhalle-Orchester spielt in kleiner Besetzung, die Blechbläser - und nur die - auf historischen Instrumenten. Das transparente Klangbild macht die Herausarbeitung schärfster dynamischer Polaritäten, zwischen denen sich Schumanns Komponieren bewegte, überhaupt erst möglich. Zinman stellt Experiment und Kunsthandwerkelei, genialischen Aufschwung und schnöden Absturz und vor allem viel französisches Gut geradezu aus - und gleicht die Symphonien, die nun alle gleich interessant klingen, einander zum Verwechseln an.

Auch wenn der nostalgische Hörer über Zinmans vormärzlichen Interpretationen die romantischste aller romantischen, Hans Pfitzners Einspielung des untröstlich-trostvollen Adagio espressivo aus der 2. Symphonie mit der Berliner Staatskapelle von 1928, nicht vergessen will und kann, will er sich fürderhin vornehmen, den großen Meister der kleinen Form ebenso als Meister der großen ernst zu nehmen. David Zinman hat es aufs trefflichste vorgemacht.


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