© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

Die Seele liegt bloß
Aufbruch ins Erinnern: Die vielen Gesichter der Maria Schell
Werner Olles

Ihr ganzes Schauspieler-Leben kämpfte sie gegen das "Seelchen"-Image, das ihr die Kritik angehängt hatte. Dabei war Maria Schell nicht nur eine der produktivsten Schauspielerinnen der Nachkriegszeit, sondern neben Curd Jürgens, Hardy Krüger und O. W. Fischer einer der wenigen internationalen Stars, die das deutsche Kino in jenen Jahren hervorgebracht hat.

Nun hat das Deutsche Filmmuseum aus ihrem Nachlaß eine Ausstellung erarbeitet, die den Weg der Schell nachzeichnet und den Besuchern gleichzeitig einen Eindruck in ein Kapitel Kinogeschichte vermittelt, das auch für die kulturelle Entwicklung der Bundesrepublik von großer Bedeutung war.

"Aufbruch ins Erinnern" nennt Hans-Peter Reichmann, der stellvertretende Direktor des Deutschen Filminstituts, die Schau. Hunderte Fotos hat die Familie Schell dem Museum zur Verfügung gestellt. Doch sind sie nur ein Teil der Ausstellung. Billetts von Romy Schneider, Briefe von O. W. Fischer, ein herrliches Abendkleid aus goldfarbenem Brokat, mit dem sie auch auf dem Titelbild einer Illustrierten aus den fünfziger Jahren zu sehen ist, Kopien und Drehbücher ihrer Filme und viele persönliche Gegenstände der 2005 gestorbenen Schauspielerin kamen hinzu.

Neben ihren zahlreichen Filmen, von denen einige in einer Filmreihe gezeigt werden, berücksichtigt die Ausstellung auch ihre Theaterarbeit und die späteren Fernsehrollen. Immer wieder zog es sie auf die Bühne zurück, unvergessen ist ihre "Kameliendame" (1967).

Letztlich sind es aber ihre Filme aus den fünfziger und sechziger Jahren, die die 1926 in Wien geborene Maria Schell unsterblich machen. In Bern und Zürich hatte sie zunächst Theater gespielt, von ihrem Wunsch, zum Film zu gehen, waren die Eltern wenig begeistert. Doch bereits ihr erster Film "Es kommt ein Tag" (1950) mit Dieter Borsche wurden zum großen Kinoerfolg. Mit Gustav Ucickys "Bis wir uns wiedersehen" (1952) gelang ihr dann an der Seite von O. W. Fischer endgültig der Durchbruch. Von nun an galten Schell und Fischer als Traumpaar des deutschen Films.

Berühmtheit über Deutschland hinaus erlangte sie mit Helmut Käutners "Die letzte Brücke" (1954). Die Handlung spielt während der Besetzung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg, als die deutsche Wehrmacht in Partisanenkämpfen verblutete. Die Feldärztin Helga Reinbeck wird zum verbindenden Glied zwischen den sich unversöhnlich gegenüberstehenden Feinden. In der Schlußszene, als Helga sich während eines Feuergefechts auf die die Gegner trennende Brücke wagt, um den typhuskranken Partisanen Medikamente zu bringen, erhält die Brücke wieder ihre ursprüngliche und symbolische Bedeutung, die der Vereinigung. Das Schießen wird eingestellt, die schweigenden Waffen verbreiten eine unheimliche gespannte Stille. Auf halbem Rückweg fällt Helga dennoch einer Kugel zum Opfer.

Mit "Die letzte Brücke" errang der deutsche Film wieder internationale Bedeutung. Robert Siodmak kam aus Hollywood und inszenierte für Arthur Brauner "Die Ratten" (1955) nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Gerhart Hauptmann. Neben Curd Jürgens, Gustav Knuth und Heidemarie Hatheyer spielt Maria Schell eine tragende Rolle als Pauline Karka, jenes verzweifelte Flüchtlingsmädchen, das mit der Sehnsucht nach ihrem Kind eine Kettenreaktion von menschlichen Tragödien und Gewalttaten in Gang setzt.

Hollywood war auf sie aufmerksam geworden. Sie erhielt Rollen in Richard Brooks anspruchsvoll angelegter Dostojewski-Verfilmung "The Brothers Karamazov" (Die Brüder Karamasow, 1957) und in Delmer Daves "The Hanging Tree" (Der Galgenbaum, 1958) an der Seite von Gary Cooper, Karl Malden und George C. Scott sowie in der US-amerikanischen Fernsehfassung von Ernest Hemingways "For Whom the Bell Tolls" (Wem die Stunde schlägt, 1959).

Der "Neue Deutsche Film" konnte in den sechziger Jahren mit ihrer intensiven Art zu spielen leider kaum etwas anfangen. Vielleicht schien sie den jungen Regisseuren zu sehr als "Seelchen" gebrandmarkt. Tatsächlich war sie jedoch eine Schauspielerin, die sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit in eine Rolle einbrachte.

"Sich verströmen", nannte Maria Schell das. In Maximilian Schells biographischem Dokumentarfilm "Meine Schwester Maria" (2002), mit dem er ihr ein würdiges Denkmal setzte, hat die im gleichen Jahr mit einem Bambi für ihr Lebenswerk ausgezeichnete Schauspielerin ihren letzten Auftritt: "Wenn die Kamera einmal läuft, kann man nicht schwindeln. Die Augen verraten die Gedanken und die Gefühle. Man kann eine Seele nicht retuschieren."

Maria Schell, die so oft die Erniedrigte, Trauernde, Leidende spielte, verkörperte als große Schauspielerin in ihrer Person nicht nur den deutschen Nachkriegsfilm, sondern das ganz große Kino. Auch davon legt die Ausstellung Zeugnis ab.

Foto: Maria Schell an der Seite von Yul Brunner in "Die Brüder Karamasow" (1957): "Sich verströmen"

Die Ausstellung im Deutschen Filmmuseum läuft bis zum 17. Juni täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Mi. und So. bis 19 Uhr, Sa. von 14 Uhr. Der Katalog kostet 24,90 Euro.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen