© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Zeitfragen
Karl Heinzen

Offenbar inspiriert durch den in diesen Monaten besonders gut zu spürenden Wandel hin zu einem wärmeren und daher die Energieressourcen stärker schonenden Klima, hat die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag den Antrag eingebracht, auf die beiden Zeitumstellungen im März und im Oktober zu verzichten und statt dessen die ganzjährige Sommerzeit einzuführen. In ihrer Begründung weisen die liberalen Abgeordneten darauf hin, daß "empfindsame Menschen unter Störungen des Biorhythmus leiden" und aufgrund der derzeitigen Regelung zweimal im Jahr in besonderem Maße eine Beeinträchtigung des Schlafes oder der Konzentration zu gewärtigen hätten.

In der Tat ist es sehr ungewöhnlich, daß ein derartig gravierender Eingriff des Staates in die Wohlfühlsphäre des Einzelnen nicht längst durch ein höchstrichterliches Urteil in seine Schranken verwiesen worden ist. Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis ein Betroffener, der durch die Zeitumstellungen seine körperliche Unversehrtheit oder gar seine Menschenwürde in Frage gestellt sieht, den Gang nach Karlsruhe antritt. Insofern kann die Initiative der FDP als ein mutiger Versuch interpretiert werden, parlamentarischen Gestaltungswillen zu bekunden, statt sich wieder einmal hinter Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu verstecken. Der Mut hat die Liberalen allerdings bereits wieder verlassen, als es darum ging, Anmaßungen des Staates entgegenzutreten. Der Frage, warum es überhaupt eine öffentliche Aufgabe sein soll, irgendwelche verbindlichen Festlegungen darüber zu treffen, welche Zeit als die "gültige" anzusehen wäre, weichen sie aus.

Diese Frage muß aber aufwerfen, wer der Regulierungswut wehren will: Sollte es nicht den Bürgern überlassen werden, festzulegen, wie spät es für sie ist? Welchen Nutzen hat hier überhaupt eine einheitliche Regelung? Aus Sicht der Unternehmen etwa könnte es ja durchaus eine ihren individuellen betrieblichen Notwendigkeiten Rechnung tragende Lösung sein, mit ihren Beschäftigten vertragliche Vereinbarungen über die Uhrzeit und die Zeitmessung zu treffen. Da ja niemand zu solchen Abmachungen gezwungen werden kann, sollte man hier auch Zeitumstellungen nicht prinzipiell ausschließen.

Im Sinne einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit wäre es nämlich beispielsweise, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer hierzulande geräuschlos darüber verständigen könnten, die Uhr tagsüber um eine Stunde zurück und nachts um eine Stunde vor zu stellen. Wer wirklich liberal sein will, muß den Menschen diese Freiheit gönnen.


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