© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/07 06. April 2007

Aufklärung gegen die Aufklärung
Georg Quabbes konservatives Schlüsselwerk "Tar a ri" versucht sich an einer Standortbestimmung, ohne eine Theorie gestalten zu wollen
Karlheinz Weissmann

Es gibt vergriffene Bücher, auch solche des 20. Jahrhunderts, die im Antiquariatshandel so selten auftauchen, daß man sie für Phantome halten könnte. Manchmal sind sie auch äußerlich unscheinbar, was die Bände in langen, schwach beleuchteten Regalreihen schwer auffindbar macht. Beides trifft auf Georg Quabbes "Tar a ri" zu, 1927 in einer einzigen Auflage veröffentlicht, ein schmales, blaßblaues Buch mit kaum lesbarer Umschlagschrift.

Unter Kennern gelten diese "Variationen über ein konservatives Thema" als wenngleich essayistische, so doch besonders treffende und kluge Darstellung der konservativen Weltanschauung. Trotzdem konnte sich bisher niemand zu einem Neudruck entschließen, weshalb es der Initiative des Uwe-Berg-Verlags überlassen blieb, den Band für die "Quellentexte zur Konservativen Revolution" wieder zu veröffentlichen.

Der Titel "Tar a ri" bezieht sich auf eine etwas merkwürdige Ableitung des englischen Begriffs "tory", der ursprünglich für die Königs-, dann für die Konservative Partei stand. Der Name erkläre sich, so Quabbe, aus dem irischen Schlachtruf der Stuart-Kavaliere im Bürgerkrieg und habe "Komm, o, König!" bedeutet. Diese Bezugnahme auf England ist kein Zufall, sondern deutet die Ausrichtung der ganzen Argumentation an. Quabbe ging es darum, den Konservatismus weniger als Ideologie, eher als organische Weltanschauung aufzufassen, eine tief im menschlichen Wesen verankerte Sichtweise, bestimmt durch anthropologische Skepsis, Betonung von Erfahrung und Überlieferung, Ablehnung aller konstruierenden Eingriffe und Vertrauen in die gemischte Verfassung mit ihren "Freiheiten".

Vertrauen in "Pendelgesetze der Weltgeschichte"

Das erklärt den Vorbehalt gegen Denker wie Donoso Cortés einerseits und die Sympathie für Edmund Burke andererseits. Donoso Cortés markierte für Quabbe eine Grenzposition des Konservativen, Burke gehörte dagegen zu seinen wichtigen Gewährsleuten, obwohl er wußte, daß man die Vorstellungen eines Mannes, für den die alteuropäische Ordnung noch Realität war, nicht einfach auf die Gegenwart übertragen konnte.

Wenn Quabbe trotz der konservativen Positionsverluste im 19. Jahrhundert einen vorsichtigen Optimismus pflegte, dann wegen seines Vertrauens in die "Pendelgesetze der Weltgeschichte". Er hoffte, daß nach einer langen Phase, in der Emanzipation und Egalität, Vernunftglaube und Utopie den Ausschlag gegeben hatten, eine Rückkehr zu Bindung und Gliederung, Religion und überlieferter Ordnung möglich werde. Der Konservative wisse, daß vergangene Zustände vergangen seien und nicht wiederkehrten. Er leugne die Geschichtlichkeit sowenig wie der fortschrittsgläubige Linke oder Liberale, aber er sehe auch die Einbußen, die der Gang der Zeit fordere. Deshalb komme der Bewegungspartei immer nur ein relatives Recht zu, der Konservatismus bilde die notwendige "Gegenpartei", und die Differenz zwischen beiden erkläre sich zuletzt nicht aus einem politischen, sondern aus einem Mentalitätsunterschied: "Für den Konservativen gilt - um es kurz zu sagen - der Satz, daß die Summe alles menschlichen Glücks auf Erden immer gleich bleibt, für den Fortschrittler der Satz, daß eine Steigerung aller Werte möglich ist und in der Hand des Menschen liegt."

Der essayistische Charakter von Quabbes Buch hatte auch damit zu tun, daß es seiner Ansicht nach zwar eine konservative "Aufklärung gegen die Aufklärung", aber keine konservative Theorie geben könne. Theorien setzten immer voraus, daß die Welt vollständig erkennbar sei. Daran glaube der Konservative sowenig wie an die prinzipielle Machbarkeit der Dinge: "Es ist erkenntnistheoretisch gewiß nicht korrekt, aber den Gegensatz gut beleuchtend, wenn man sagt, daß der Konservative die Einheit der Dinge bejaht und billigt, die aus ihnen selbst hervorleuchtet." Für Quabbe wurzelte der Konservatismus in einer bestimmten charakterlichen Disposition, die vom Alter begünstigt wird, aber doch grundsätzlich vorhanden und von der progressiven verschieden ist. Deshalb betonte er die Distanz zur Linken und die Nähe zu liberalen Auffassungen, genauer: zu altliberalen. Die "Berührung der Extreme", die sonst im Lager der Konservativen Revolution faszinierte, übte auf ihn keine Anziehungskraft aus.

Wenn man Quabbe der Konservativen Revolution zurechnet, dann gehörte er zum gemäßigten Flügel der Jungkonservativen, so wie Moeller van den Bruck oder Edgar Jung den radikalen vertraten. Auch die Widmung an den "Unpolitischen Betrachter", also den Thomas Mann vor der Bekehrung zur Mitte, steht dafür. Alle seine praktischen politischen Bemühungen richteten sich darauf, die deutschen "Torys" zu sammeln, eine Position zwischen Deutschnationalen und Völkischen zu beziehen, prinzipiell für Monarchie und Tradition Stellung nehmend, aber ohne Neigung für das Gehabe Hugenbergs oder Katastrophenpolitik.

An einer kryptischen Stelle heißt es in "Tar a ri": "wir Konservativen dürfen Gott selbst nicht zugestehen, im Feuer der Revolution zu erscheinen, nur weil seine Propheten unfähig sind, die Menge durch andere Formen zu gewinnen." Damit ist Quabbes Immunität gegenüber dem NS-Regime schon hinreichend erklärt. Soweit die spärlichen biographischen Informationen, die wir haben, Aussagen erlauben, lebte er als Rechtsanwalt zurückgezogen in Breslau, konnte bei Kriegsende aus Schlesien entkommen und sich mit seiner Familie nach Heidelberg retten. Wegen seiner untadeligen Haltung wurde er kurz darauf zum hessischen Generalstaatsanwalt ernannt, mußte das Amt aber bald wegen schwerer Krankheit niederlegen. Georg Quabbe starb am 17. Juli 1950 im Alter von vierundsechzig Jahren.

Foto: Medaille mit dem Bildnis Georg Quabbes, 1935 von dem Künstler Theodor von Gosen entworfen: Deutsche "Torys" sammeln

Georg Quabbe: Tar a ri. Variationen über ein konservatives Thema, Quellentexte zur Konservativen Revolution, Reihe: Die Jungkonservativen, Bd 2, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1927, Toppenstedt: Uwe Berg 2007, gebunden, 190 Seiten, 16 Euro


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