© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Mogelpackung Gentechnik
Andreas Mölzer

Wenn es um den Schutz der Gesundheit der Bürger geht, ist die EU-Kommission nicht untätig: Einmal wird den Rauchern der Kampf angesagt, dann soll Alkoholkonsum bekämpft werden, und jene, die im Freien arbeiten, sollen vor schädlichem UV-Licht geschützt werden. Völlig anders verhält sich die Brüsseler Behörde jedoch bei der grünen Gentechnik, deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt noch weitgehend unerforscht sind. Denn in diesem Bereich, der sich zu einer einflußreichen Industrie entwickelt hat, werden die Bedenken der Bürger beiseite gewischt.

EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou verkündete in der Beantwortung einer schriftlichen Anfrage des Verfassers dieser Zeilen, die im Dezember 2006 beschlossene Verordnung des Rates über die ökologische Landwirtschaft werde sich "günstig auf die Entwicklung der ökologischen Erzeugung auswirken". Denn alle Produkte, die den Grenzwert von 0,9 Prozent für "zufällige und technisch nicht vermeidbare" Spuren zugelassener gentechnisch veränderter Organismen überschreiten, dürfen nicht mehr als ökologische Erzeugnisse verkauft werden. Was der Liberale aus Zypern als große Errungenschaft bejubelt, ist für Österreich aber ein herber Rückschritt. Denn hier liegt die Schwelle bei nur 0,1 Prozent.

Aus Kyprianous Antwort wird aber auch ersichtlich, für welch hilfloses Wesen der angeblich so mündige Verbraucher gehalten wird. So müssen tierische Erzeugnisse nur dann als "gentechnisch verändert" gekennzeichnet werden, wenn sie von einem gentechnisch veränderten Tier stammen. Werden bei der Tierzucht aber gentechnisch veränderte Futtermittel verwendet, so entfällt die entsprechende Kennzeichnungspflicht, weil dies die Verbraucher nach Ansicht der EU-Zentrale überfordern würde. Nicht nur, daß damit die Bedenken der Bürger als für die Konsumenten verwirrend abgetan werden, vielmehr wird durch die geltende Regelung Mogelpackungen angeblich gentechnikfrei erzeugter Produkte Tür und Tor geöffnet, was noch nicht in die Köpfe der Eurokraten vorgedrungen zu sein scheint.

Es hat den Anschein, als hätte in der Frage der Gentechnik für Brüssel die Wirtschaft den Vorrang, was gerade für die Landwirtschaft fatale Auswirkungen haben kann. Denn es gibt bereits seit vielen Jahren gentechnisch veränderte Getreidesorten, die nicht selbst als Saatgut tauglich sind und folglich immer wieder neu bei den großen internationalen Agrarkonzernen angekauft werden müssen. Und das Ziel derartiger Manipulationen am Erbgut der Pflanzen ist es, die Landwirte in eine Abhängigkeit von den Agrar-Multis zu zwängen.

Die abgehobene und in tiefstem Maße bürgerfeindliche Haltung der Kommission in der Frage der Gentechnik ist freilich auch ein Garant dafür, daß der EU-Verdruß noch weiter zunehmen wird. Während die Sorgen der Bürger bei der EU-Nomenklatura auf taube Ohren stoßen, finden die Wünsche der mächtigen Lobby, die in den Diensten der Gentechnik-Industrie steht, in Brüssel zunehmend Gehör.

So zeigt die EU, die im März in Berlin mit großem Pomp ihr 50jähriges Bestehen gefeiert hat, daß nicht die Gesundheit der Menschen und der Schutz der Umwelt für ihre Entscheidungen maßgebend sind, sondern wirtschaftliche Erwägungen von Großkonzernen.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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