© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Hinter der konservativen Fassade
Sicherheitsdebatte: Wolfgang Schäuble präsentiert gerne Lösungsvorschläge für Probleme, die er selbst mitverursacht hat
Michael Paulwitz

Opportunismus ist eine Grundtugend erfolgreicher CDU-Politiker; baden-württembergischer allzumal. Das Sicherheitspaket, mit dem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble Koalitionspartner und Leitartikler gegen sich aufgebracht hat, konnte den Eindruck erwecken, da sei ein erzkonservativer "Hardliner" am Werk, der kompromißlos für Recht und Ordnung sorgt. Ein Irrtum, wie der bisherige Werdegang des Badeners lehrt.

Der Schäuble-Clan ist ein typisches Gewächs der baden-württembergischen CDU, in der sich flexible Inhalte gern hinter konservativen Fassaden verbergen. Schäubles Schwiegersohn Thomas Strobl, Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär der Südwest-CDU, mußte wohl einige Karrierehoffnungen begraben, nachdem der Vater seiner Frau über die Spendenaffäre gestürzt war. In der Oettinger-Filbinger-Affäre stützte er den Ministerpräsidenten zwar mit Blick auf die konservative Basis, freilich nicht länger, als dies ohne Selbstbeschädigung möglich war. Schäubles jüngerer Bruder Thomas, Volljurist wie der ältere und dessen Schwiegersohn, brachte es in Stuttgart ebenfalls zum Innenminister. Aus dem letzten Kabinett Teufel verabschiedete er sich rechtzeitig an die Spitze der Staatsbrauerei Rothaus, ein ebenso lukrativer wie parteipolitisch verfilzter Posten.

Eine dubiose Barspende des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber kostete Wolfgang Schäuble im Jahr 2000 die Rolle als Parteichef und Oppositionsführer. Der ehrgeizige Politiker, der im System Kohl die Rolle des ewigen Kronprinzen gespielt hatte, fand in der Folge auch unter Angela Merkel alle weiterführenden Karrieretüren verschlossen. Seine Kandidatur als Bundespräsident scheiterte am Widerstand der FDP, dem Merkel nur zu gerne nachgab. Innenminister der großen Koalition war für Wolfgang Schäuble kein Traumjob, aber er erledigt ihn mit effektiver parteitaktischer Routine. Regelmäßig profiliert er sich mit provokanten Ansagen.

Feuerwerk eines traumatisierten Politikers?

Sei es, daß er den Einsatz der Bundeswehr im Inneren unter anderem zum Abschuß entführter Verkehrsmaschinen fordert, sei es, daß er sich für die Verwendung sicherheitsrelevanter Informationen aus Folterquellen ausspricht, sei es, daß er der Ausspähung von Bürgern durch ein via Internet auf deren Rechner eingeschleustes Spionageprogramm, den "Bundestrojaner", das Wort redet.

Mancher vermutete hinter diesem Feuerwerk den pathologischen Sicherheitsfanatismus eines Politikers, der durch die Erfahrung eines brutalen Pistolenattentats, das ihn seit 1990 an den Rollstuhl gefesselt hat, traumatisiert worden sei. Wahrscheinlicher ist, daß der gewiefte Taktiker Schäuble der sozialdemokratischen Konkurrenz als Anwalt der Bürgersicherheit die letzte Butter vom Brot nehmen will, das ihr der ähnlich altgediente Veteran Otto Schily hinterlassen hat. Dessen Durchgreifer-Image als Bundesinnenminister wird von Schäuble höchst erfolgreich kopiert, auch mit dem jüngsten "Sicherheitspaket", das auf Vorlagen seines Amtsvorgängers aufbaut.

Nicht nur bei Parteispenden nahm der Jurist Wolfgang Schäuble es mit Recht und Ordnung schon in seiner ersten Amtszeit als Bundesinnenminister nicht so genau. Wenige Monate nach dem Wechsel vom Kanzleramt ins Innenministerium im April 1989 wurde Schäuble Verhandlungsführer für den Einigungsvertrag. In dieser Eigenschaft sorgte er maßgeblich dafür, daß unter dem Vorwand der offenkundigen Falschbehauptung, die Sowjetunion verlange dies als Bedingung ihrer Zustimmung zur Wiedervereinigung, die Rückgängigmachung der willkürlichen Enteignungen zwischen 1945 und 1949 ausgeschlossen wurde. Ein Anschlag auf den Schutz des Privateigentums, der unsere Rechtsordnung dauerhaft beschädigt hat.

Nicht minder folgenschwer war eine weitere "Reform", für die Schäuble als Kohls Innenminister verantwortlich zeichnete: Die "Anspruchseinbürgerung" für Ausländer, die sich lange genug in Deutschland aufhalten. Vor Schäuble galt die "Ermessenseinbürgerung", die eine "freiwillige und dauerhafte Hinwendung zu Deutschland" voraussetzte und den Erwerb des deutschen Passes "lediglich zur Erlangung wirtschaftlicher Vorteile" ausschloß - so die Richtlinie von Schäubles Amtsvorgänger Werner Maihofer (FDP).

Getreulicher Fortsetzer rot-grüner Ausländerpolitik

Seit Schäubles erleichterter Einbürgerung ohne vorherige Loyalitäts- und Integrationsüberprüfung, von liberalen Staatsrechtlern als "der schüchterne Einstieg in die rechtliche Anerkennung einer multiethnischen Gesellschaft" gewertet, sind in Deutschland mit staatsbürgerlichen Rechten ausgestattete Parallelgesellschaften auf dem Vormarsch. Das machte nicht nur Schäubles Unterschriftenaktion gegen die rot-grüne Umkrempelung des Staatsbürgerschaftsrechts unglaubwürdig; schließlich hat Schäuble diese nicht nur mit vorbereitet, er hat auch selbst nichts gegen den damals schon bekannten massenhaften Doppelpaß-Mißbrauch durch Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft nach Erwerb der deutschen unternommen.

Ins Amt des Bundesinnenministers zurückgekehrt, hat sich Schäuble als getreulicher Fortsetzer rot-grüner Ausländerpolitik erwiesen. Sein liberaler Kompromiß zum Bleiberecht belohnt illegale Einwanderer, die sich lange genug der Ausreisepflicht entzogen haben. Die von ihm ins Leben gerufene Deutsche Islamkonferenz, die Mitte kommender Woche wieder zusammentritt, steht in derselben Linie: Sie verfestigt den Einfluß der religiös-fundamentalistischen Muslim-Organisationen, die sich - auch dies auf eine Anregung Schäubles, der sich "einheitliche Ansprechpartner" auf muslimischer Seite wünschte - zu einem "Koordinationsrat" zusammengeschlossen haben mit dem Ziel, den christlichen Kirchen gleichgestellt zu werden.

Gern profiliert sich Schäuble mit Lösungsvorschlägen für Probleme, an deren Entstehen er selbst mitgewirkt hat. Er moderiert die Machtbeteiligung der Parallelgesellschaften, die seine frühere Einbürgerungspolitik verfestigt und zum Aufblühen gebracht hat; und er forciert den Kampf gegen den Terror, der in diesen Milieus einen heimischen Nährboden gefunden hat. Seine sicherheitspolitischen Paukenschläge erscheinen somit als Ablenkungsmanöver. Der wahre Wolfgang ist nicht der "law and order"-Schäuble, sondern der Multikulturalist, der gern konservativ scheint, aber liberal agiert.

Foto: In der Diskussion um die Terrorabwehr scheint Bundesinnenminister Schäuble auf Nummer sicher zu gehen: Der vermeintliche "Hardliner" agiert meist liberal


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