© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Lieber ins Gefängnis als ins Heim
Jugendkriminalität: Behörden stehen minderjährigen Intensivtätern meist machtlos gegenüber / Erfahrungen in Berlin-Neukölln
Fabian Schmidt-Ahmad

Die Anforderungen sind hart. Mindestens zehn Straftaten "von nicht unerheblicher Bedeutung" müssen von einer Person innerhalb eines Jahres begangen werden, bevor diese als "Intensivstraftäter" eingestuft wird. Oder Personen, bei denen sich "eine kriminelle Karriere direkt abzeichnet". Dennoch halten rund hundert Einwohner des Berliner Stadtteils Neukölln diesen zweifelhaften Titel, wie der Neuköllner Migrationsbeauftragte Arnold Mengelkoch in einer Veranstaltung mit dem Titel "Jugendliche Gewalttäter mit Migrationshintergrund - Ursachen und Lösungsansätze" erläuterte.

Geladen hatte das Forum für Sicherheitspolitik der Berliner CDU. Mengelkoch, der auf 25 Jahre Berufserfahrung in der Jugendarbeit zurückblicken kann, schilderte den typischen Fall eines Intensivstraftäters: "Ein dreizehneinhalbjähriger Junge, der seit Monaten nicht mehr zur Schule geht, palästinensischer Familienhintergrund."

Mit seiner Gruppe "The Arabian Ghetto Boys" raubte er morgens Mitschüler auf dem Schulweg aus. Zwar blieb er dem Unterricht fern, benutzte jedoch die Schulpause für den Drogenhandel. Auf dem Schulrückweg wiederholte sich das Schema der Überfälle. Und dies "die ganze Woche über, tagaus, tagein, völlig ungebremst".

Eine Unterbringung durch das Jugendamt war nicht möglich, da einerseits die Eltern keine eindeutige Haltung einnahmen, andererseits die Unterbringung gegen den Willen des Jugendlichen unmöglich erschien. Denn es gibt in Deutschland kaum noch geschlossene Einrichtungen für Jugendliche, wie Mengelkoch erläuterte. Da für die deutsche Justiz die Strafmündigkeit erst mit 14 Jahren beginnt, hätte der Jugendliche erst in einem halben Jahr "ins Gefängnis gehen können".

In einer gemeinsamen Aktion von Polizei, Jugendamt, Ausländerbehörde und anderen Beteiligten wurde aber Druck auf die Familie ausgeübt, so daß der Jugendliche zu Verwandten in den Libanon ausgeflogen wurde. Dort lebt der Junge nun auf einem Dorf, hält mit seinen Freunden in Berlin über das Internet den täglichen Kontakt und "schickte dann ein Foto mit dem Handy, auf dem er eine Kalaschnikow trägt".

Gefängnisse sind hoffnungslos überbelegt

Nicht immer wird das Problem für die deutsche Gesellschaft so glimpflich aufgeschoben. Mengelkoch gab Experteneinschätzungen wieder, der zufolge die Berliner Justizvollzugsanstalten selbst dann noch überbelegt wären, wenn man die Kapazitäten verdoppeln würde. Die Konsequenzen für Justiz und Gesellschaft sind drastisch, da nur die schlimmsten Kapitalverbrechen Folgen für den Täter haben.

Anschaulich schilderte ein Schüler, wie er von "rußland-deutschen" Jugendlichen zusammengeschlagen wurde. Obwohl diese der Polizei bereits einschlägig bekannt und nach Einschätzung der Beamten "endlich fällig" waren, konnten sie "am nächsten Montag" ihr Abenteuer in der Schule zum besten geben. "Die Zahl der Haftplätze bestimmt die Zahl der Leute, die bestraft werden", faßte Rüdiger Jakesch (CDU), Vorstandsvorsitzender des Berliner Landesverbandes der Vertriebenen, pointiert zusammen.

Ein Phänomen, das sich in ähnlicher Weise in der Jugendarbeit zeigte. So lehnte es Mengelkoch auf Fragen dem verblüfften Publikum gegenüber ab, irgendwelche Einschätzungen über die Zahl der Problemfälle in Nord-Neukölln zu liefern: "Wenn die Zahl so riesengroß ist und nicht abnimmt, dann verliert man das Gefühl dafür, wie groß sie eigentlich wirklich ist." Eine permanente Überlastung, die nicht anders als durch die Ausländer selbst kompensiert werden kann: "Die müssen für ihre Integration selbst sorgen, das können wir gar nicht leisten." Mengelkoch zeigte eine Reihe vielversprechender Ansätze auf, mußte jedoch gravierende Schwierigkeiten eingestehen.

In den Fällen, wo die intensive Bildungsarbeit Früchte zeigte, zogen die Bewohner meistens aus Nord-Neukölln weg. Zurück blieben Problemfamilien mit - im Gegensatz zu ihrem integrierten Gegenstück - ungebremst hohem Familienzuwachs. Darauf wies ein Teilnehmer hin und führte entsprechende Überlegungen des Bevölkerungswissenschaftlers Gunnar Heinsohn an, der hier den Sozialstaat als Verursacher ausmachte (JF 49/06).

Mengelkoch bestätigte diese Einschätzung: "Es darf keine Sozialtransfers ohne Gegenleistung geben. Es kann nicht angehen, daß die Familie sich über jedes weitere Kind freut, weil dies das eigene Finanzvolumen vergrößert." Es müsse eine spürbare Reaktion geben, wenn Familien nicht kooperierten.

"Wir setzen auf die Karte Bildung"

Wie weit diese gehen muß, wurde ersichtlich aus Mengelkochs Beschreibung, der selbst keine politischen Lösungsansätze formulieren wollte. So forderte beispielsweise das Jugendamt die Ausweisung Einzelner bis hin zu ganzen Familiengruppierungen. Ein Ansinnen, welches bisher aufgrund des rechtlichen Status abschlägig beantwortet werden mußte. Ein radikales Umdenken ist hier unbedingt erforderlich. "Sonst geht die Dynamik ihren eigenen Weg."

Derweil kämpft Mengelkoch für diejenigen, bei denen noch Hoffnung auf Integration besteht. "Wir setzen, solange sich in der Politik nichts tut, auf die Karte Bildung." Doch was hier "Bildung" heißt, wurde am Beispiel einer arabischen Mutter deutlich, die es ablehnte, ihren Sprößling, den eine Gefängnisstrafe erwartete, alternativ in ein Heim zu geben. Sie war der Meinung, daß ihr Sohn nur im Gefängnis zum echten Mann wird.


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