© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

"Völkerwanderung nach Deutschland"
Bürgergeld: Die Stiftung Marktwirtschaft veranstaltete eine kontroverse Diskussionsrunde über eine alte Idee
Klaus Peter Krause

Eine alte Idee hat Beine bekommen: das "Bürgergeld" als staatliches Grundeinkommen für alle, ohne Ansehen der Person und der Höhe ihres Einkommens und unabhängig davon, ob jemand einer bezahlten Arbeit nachgeht oder nicht (JF 10/07).

Dieses Grundeinkommen ist an keine Bedingung geknüpft. Jeder Staatsbürger erhält zur Sicherung seines persönlichen Grundbedarfs von der Geburt an einen monatlichen Betrag. Der sichert den minimalen Existenzbedarf, er verpflichtet zu keiner Arbeit oder sonstigen Ersatzleistung. Das Bürgergeld ersetzt Arbeitslosen- und Kindergeld, Rente, Bafög, Sozialhilfe und sonstige Sozialleistungen. Es wird jährlich angepaßt an einen repräsentativen Grundbedürfnis-Index für Mieten, Grundnahrungsmittel, Benzin, Heizkosten, Strom, Telefon, Krankenkassenbeiträge und anderes.

Dieses "bedingungslose Grundeinkommen" war auch Gegenstand einer Veranstaltung der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin am 24. April im vollbesetzten Unionsfraktionssaal des Reichstagsgebäudes. Ein Unternehmer, zwei Ökonomen und fünf Politiker sollten vermitteln, ob das Bürgergeld ein "Geniestreich" oder nur "Wahnsinn" sei.

"Unser Steuersystem bestraft Arbeit und belohnt Konsum"

Als eine geniale Idee sieht der Gründer der florierenden Drogeriekette dm, Götz Werner, das Bürgergeld, wenn es zugleich von der von ihm propagierten (hohen) Konsumsteuer finanziert würde. Er vertrat seine Idee (JF 46/06) mit Eloquenz, hüllte sie aber ein als bekennender Anthroposoph in wolkige Populismen wie: "Wir brauchen weitgespannte Zukunftsentwürfe. Die Bürger haben Hunger und Durst nach neuen Ideen. Denn mit unserem bisherigen Latein sind wir doch am Ende. Haben wir noch das Ideal des freien, selbstbestimmten Bürgers? Wollen wir es, müssen wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen", fragte Werner in die Runde.

"Unser Steuersystem bestraft Arbeit und belohnt Konsum. Wir müssen Arbeit und Kapital 'entschweren', damit sie sich entfalten können und damit die Menschen arbeiten wollen, statt arbeiten zu müssen. Das Grundeinkommen entlastet die Menschen von dem, was sie heute bedrückt: von der Zukunftsangst. Das Grundeinkommen ist ein Akt der Brüderlichkeit. Grundeinkommen und Konsumsteuer werden wirken wie ein Archimedischer Punkt. Das wäre ein Kulturimpuls für die ganze Welt. Menschen lernen durch Einsicht oder Katastrophen", meinte der dm-Chef.

Werner setzte offenbar voraus, alle Zuhörer hätten seine beiden Bücher ("Ein Grund für die Zukunft - Das Grundeinkommen" und "Einkommen für alle") gelesen. Werner, 63 Jahre alt, ist Herr über 1.720 dm-Filialen in neun Ländern mit 24.500 Mitarbeitern und 3,67 Milliarden Euro Jahresumsatz. 2003 hat ihn die Universität Karlsruhe (TH) zum Professor ernannt. Dort leitet er das Interfakultative Institut für Entrepreneurship und vermittelt praxisorientiertes Wissen. Die Professur, finanziert von dem Dax-Unternehmen SAP, soll den akademischen Nachwuchs auf die Selbständigkeit vorbereiten sowie Unternehmensgründungen anstoßen.

Arbeit und Einkommen müßten getrennt werden. In einem Grundeinkommen liege die Zukunft des Sozialstaats. Es sichere des Bürgers Existenz und ersetze teilweise sein Arbeitseinkommen. Werner ist überzeugt: Das garantierte Grundeinkommen werde die Gesellschaft völlig verändern. Die Menschen wären nicht mehr zur Arbeit gezwungen - hätten aber die Freiheit, für ihre Mitmenschen sinnvoll tätig zu sein. Werner fordert eine radikale Umkehr vor allem in den Sozialsystemen. Die Empfänger von Sozialleistungen würden gegängelt; Hartz IV sei "offener Strafvollzug".

Ihm widersprach mit zehn Argumenten der Wirtschaftswissenschaftler Horst Siebert (einst in Kiel, jetzt an der John Hopkins University Bologna). Werners Bürgergeld führe, um es zu finanzieren, zu einer immensen Steuererhöhung. Zahle man allen monatlich 800 Euro, sei ein Gesamtsteuersatz bei der Einkommensteuer von 78 Prozent erforderlich. Auch löse dieses Bürgergeld eine "gewaltige Völkerwanderung nach Deutschland" von außerhalb Europas aus. "Eine unmögliche Idee. Zwar freundlich und liebevoll, aber abstrus. Die Arbeitsmoral wird zerrüttet. Die Politiker sollen die Finger davon lassen", so Sieberts Verdikt.

Der Ökonom Clemens Fuest (Universität Köln) hatte die Beschäftigungs- und Finanzierungswirkungen des Bürgergeldes darzulegen. Er tat dies zunächst am Basismodell: monatlich 800 Euro für jeden Bürger über 18 Jahre, abzüglich 200 Euro für eine "Gesundheitsprämie", Anrechnung eigenen Einkommens zu 50 Prozent (Transfer-Entzugsrate), 25 Prozent Flatrate-Einkommensteuer (ab 1.600 Euro, Freibetrag 400 Euro), 800 Euro Bürgergeldrente vom 67. Lebensjahr an (aber Bestandsschutz für erworbene Rentenansprüche), zusätzliche Leistungen für Menschen in besonderen Lebenslagen (zum Beispiel Behinderte) auf Antrag und nach Prüfung. Sein Ergebnis: nicht finanzierbar und erhebliche negative Beschäftigungswirkungen. Eine Kompromißlösung sieht Fuest in Kombilohnkonzepten. Sie könnten Beschäftigung im Niedriglohnbereich schaffen und seien auch finanzierbar.

"Demokratiepauschale" oder sogar "nah am Sozialabbau"

Die fünf Politiker präsentierten ihre Ansichten zum Bürgergeld als ein Thema mit Variationen. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) stellte sein Modell vor und sonnte sich darin (www.buergergeldportal.de). Statt für einen Mindestlohn müsse der Staat für ein Mindesteinkommen sorgen. Bürgergeld schaffe für die Bürger mehr Freiheit und gängele sie nicht. Auf Mißverständnisse von Kritikern reagierte er unwirsch. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Grotthaus meinte: "Das Bürgergeld für alle ergibt eine Umverteilung, mit der meine Fraktion nicht einverstanden sein kann." Sein Kollege Dirk Niebel (FDP) lehnte ein "bedingungsloses, also leistungsloses" Grundeinkommen ebenfalls ab. Bürgergeld solle nur bekommen, wer hilfebedürftig sei. Er plädierte für ein "Steuer- und Transfersystem aus einem Guß wie das Bürgergeldkonzept der FDP, aber verbunden mit einem Arbeits- und Tarifvertragsrecht, um Arbeitsplätze zu vermehren, damit das Bürgergeld finanzierbar ist".

Katja Kipping (Die Linke) erwies sich als beseelte Verfechterin eines bedingungslosen Grundeinkommens. Sie benannte es in "Demokratiepauschale" um, weil es den Armen ermögliche, an der Demokratie teilzunehmen, etwa "durch Zeitunglesen und zu Demos zu fahren". Die Grüne Thea Dückert meinte: Die Utopie des bedingungslosen Grundeinkommens habe Charme, aber sei "gefährlich nah am Sozialabbau". Um es allen zu gewähren, sei der Finanzbedarf zu groß. Das gehe zu Lasten jener, die Hilfe wirklich brauchten.

Bei der Veranstaltung herausgekommen ist viel Kontroverses, wenig Annäherung und schon gar kein Konsens: Die Verheißungen klangen so schön und die Warnungen so abschreckend. Durchaus nützlich könnte es wohl sein, bei Joachim Mitschke nachzuschauen. Der Steuerexperte hat zum Bürgergeld schon 1985 seinen Entwurf über eine "Steuer- und Transferordnung aus einem Guß" vorgelegt. Der Anstoß dazu war ebenfalls von der Stiftung Marktwirtschaft gekommen, die damals aber noch Frankfurter Institut hieß.

Internetseite von Joachim Mitschke: www.prof-mitschke.de 

Eine Artikelsammlung zum Thema Bürgergeld: www.archiv-grundeinkommen.de 

Foto: Kundenberatung in Drogeriemarkt-Filiale: "Das Grundeinkommen ist ein Akt der Brüderlichkeit"


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