© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Wahlreform
Karl Heinzen

Die Große Koalition in Österreich hat beschlossen, das Mindestalter für die Ausübung des aktiven Wahlrechts von 18 auf 16 Jahre zu senken. Dieses Limit wird weltweit nur noch vom Iran unterboten. In der Islamischen Republik dürfen bereits 15jährige per Stimmzettel über das Schicksal ihres Landes mitentscheiden.

Der Reformschritt der Regierung in Wien überrascht, weil er im Widerspruch zu der in allen entwickelten Ländern Europas vorherrschenden Maxime steht, der Jugend den Schneid abzukaufen, um sie rechtzeitig auf die großen Lasten einzustimmen, die sie in Zukunft zu schultern hat. Die auf der Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit basierende Selbstdisziplin junger Menschen wird schließlich unterminiert, wenn man ihnen den Eindruck vermittelt, sie seien schon zwei Jahre eher als bislang angenommen reif genug, um ausgerechnet über das Gemeinwohl mitzureden.

Andererseits ist nicht zu leugnen, daß die Jugendlichen heute früher als noch ihre Eltern in die Pflicht genommen werden. So verfügen sie über weitaus mehr Geld als die Vorgängergenerationen in ihrem Alter und sind daher schon in jungen Jahren zu Konsumentscheidungen gezwungen, die einst Erwachsenen vorbehalten waren.

Auch hat die Gesellschaft immer mehr die Geduld verloren, sie mit Wissen befrachten zu wollen, mit dem sie in ihrem späteren Berufsleben gar nichts anfangen können. Dementsprechend werden die Bildungswege kürzer und kürzer, und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der Berufseinstieg vor Erreichen der Volljährigkeit auch für Akademiker die Regel ist.

Höhere Anforderungen und steigender Druck auf junge Menschen bedürfen aber gar nicht unbedingt einer Kompensation an anderer Stelle. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen Pflichten und Rechten gibt es schließlich nicht. Was die österreichische Regierung dazu veranlaßt hat, Pubertierende an die Wahlurnen zu bitten, wird also ihr Geheimnis bleiben.

Man kann sich allenfalls damit trösten, daß Jugendliche in Europa dank der demographischen Entwicklung über kein zahlenmäßiges Gewicht verfügen, das sie mit den Mitteln der Demokratie ausspielen könnten. Zudem beinhaltet die Wahlrechtsreform in Österreich auch eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf nunmehr fünf Jahre. Auch wenn die Menschen nun zwei Jahre früher als bisher ihre Stimme in die Waagschale werfen dürfen: Sie haben über ihr ganzes Leben gerechnet deutlich weniger Gelegenheit als bisher, mit diesem Recht Schindluder zu betreiben.


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