© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

Macht braucht die See
Der siebte Band der "Weltgeschichte der Seefahrt" schließt das neue Standardwerk von Büchervernichtung. Im Gegen- Helmut Pemsel ab
Rolf Bürgel

Im Jahr 2000 erschien der erste Band einer siebenbändigen "Weltgeschichte der Seefahrt", die jetzt mit dem Erscheinen des siebten und letzten Bandes komplett vorliegt. Auf mehr als dreitausend Seiten breitet der international anerkannte österreichische Marinehistoriker Helmut Pemsel vor dem Leser einen faszinierenden Überblick über mehr als zwölf Jahrtausende ziviler und militärischer Seefahrt aus.

Der jetzt erschienene Band 7 - zugleich Band 3 des militärischen Abschnitts - behandelt "Seekriege und Seepolitik von 1914 bis 2006". Dieses knappe Jahrhundert wurde geprägt durch eine ganze Reihe gravierender machtpolitischer Umbrüche, wie sie die Geschichte in einem derart kurzen Zeitraum noch nicht gesehen hatte, denen der Autor daher auch einen eigenen Band widmet. Wesentliche Entscheidungen fielen hierbei zur See. Ausgangspunkt war die "Urkatastrophe" des Ersten Weltkrieges 1914/18, hat er doch die gesamte weitere politische Entwicklung entscheidend bestimmt. Der Krieg begann 1914 als "Dritter Balkankrieg", weitete sich zum europäischen (Land-)Krieg und wurde durch den Eintritt Großbritanniens auch zum Seekrieg. Nachdem sich die Landfronten im Stellungskrieg festgefressen hatten und keine der beiden Seiten eine Entscheidung erreichen konnten, kamen der Seeblockade auf der einen und dem Zufuhrkrieg auf der anderen Seite erhöhte Bedeutung zu. Die Entscheidung zugunsten der Alliierten brachte schließlich der Einsatz der USA, der auch nur über See erfolgen konnte.

Auch das kurze Zwischenspiel zwischen den Weltkriegen war maritim geprägt, so im russischen wie spanischen Bürgerkrieg, im Krieg Japans gegen China sowie durch die Flottenverträge (Washington 1922, London 1930, London 1935) mit dem Ziel die japanische Expansion zurückzudrängen und ein neues Flottenwettrüsten zu verhindern. Aber es war nicht mehr als eine Atempause. Aus vielen ungelösten machtpolitischen Problemen, die der Erste Weltkrieg hinterlassen hatte, entstand dann der Zweite Weltkrieg, dessen eigentlicher Beginn schon auf den japanischen Angriff auf China 1937 zu datieren ist. Auch dieser Krieg war durch die Teilnahme Großbritanniens und später der USA im wesentlichen ein Seekrieg.

Die Entscheidung in der Schlacht im Atlantik war die Voraussetzung für das Überleben Großbritanniens, die Unterstützung der Sowjetunion und schließlich die Invasion 1944 in der Normandie. Der Pazifikkrieg zwischen Japan und den USA war sogar ein reiner Seekrieg. Die politischen Umwälzungen als Ergebnis des Krieges waren gravierend. Europa verlor seine beherrschende Stellung. USA und UdSSR wurden zu neuen Machtzentren, die sich nicht nur politisch-ideologisch, sondern vor allem strategisch unterschieden. Die von den USA geführte Nato war ein Bündnis der wesentlichen Seemächte, während der von der UdSSR dominierte Warschauer Pakt ein reiner Kontinentalblock war. Wie sehr die Seemacht der Kontinentalmacht überlegen ist, zeigte sich besonders deutlich in der Kubakrise 1962, welche die USA vor allem dank ihrer maritimen Alleinpräsenz vor Ort für sich entscheiden konnten. Die Sowjets lernten daraus, daß ohne eine Hochseeflotte mit modernen Überwasserstreitkräften keine Weltpolitik gemacht werden konnte. Das war der Startschuß für den Aufbau einer eigenen Seemacht unter Admiral Sergej Gorschkow, die bis in die achtziger Jahre zur stärksten nach den USA wurde.

Auch eine Reihe weiterer Kriege wurde maßgeblich durch Seemacht beeinflußt, wie der Koreakrieg 1950/53, der ohne die Unterstützung von See für die UN-Streitkräfte im Brückenkopf von Pusan beinahe zum Desaster geworden wäre, der Vietnamkrieg, die Nahostkriege, die Golfkriege und die Suezkrise, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Rückeroberung der von Argentinien besetzten Falkland-Inseln war Großbritannien überhaupt nur über See möglich und zeigt eindrucksvoll wie lang der Arm einer Seemacht sein kann.

Durch das Ende der UdSSR verschoben sich die globalen Machtverhältnisse erneut gravierend. Die USA wurden zur alleinigen Weltmacht, auch zur See, nachdem ihr mit dem Ausscheiden der Roten Seekriegsflotte der einzige adäquate Gegner zur See abhanden gekommen war. Mit ihren Flugzeugträgern und Raketen tragenden Atom-U-Booten kontrolliert die US Navy seitdem nicht nur nahezu uneingeschränkt die Weltmeere. Durch ihre hohe Beweglichkeit und die große Reichweite ihrer Waffen wirkt sie auch tief in das Landesinnere und erreicht mit ihnen jeden Punkt der Erde. Durch ihre weltweite Präsenz ist sie so in der Lage, manchen Konflikt schon im Keim zu ersticken.

Mit dem internationalen Terrorismus ist jetzt ein neuer Gegner entstanden, auch zur See, der die Seemächte vor neue Herausforderungen stellt, vor allem im unmittelbaren Küstenvorfeld. Bestimmt wird die gesamte Entwicklung auch durch die geradezu atemberaubenden Fortschritte in der Waffentechnologie (Präzisionsraketen, Abstandswaffen), Antrieb (Atomantrieb) und Ortung (Radar, Sonar, Infrarot).

Ein besonders Kapitel widmet der Autor der "Geschichte der Taktik zur See". Er zeichnet ein zusammenfassendes Bild darüber, wie die Kämpfe zur See über die Jahrhunderte hinweg ausgetragen wurden, schildert die Veränderungen der Taktik zur See durch die technische Entwicklung von Schiffen und Waffen, zeigt aber auch, daß ein Faktor immer gleich geblieben ist - die See. Ein umfangreicher und sehr informativer Anhang mit Stärkevergleichen der wichtigsten Flotten in den beiden letzten Jahrhunderten, der Versenkungserfolge der U-Boote in den beiden Weltkriegen und - ganz aktuell - der US-Trägerkampfgruppen während des Dritten Goldkrieges 2003, ein Literaturverzeichnis sowie ein Gesamtindex für die Bände 1, 2 und 5 bis 7 runden den Band ab.

Alles in allem macht der Autor mit seinem Werk deutlich, daß die Komplexität weltpolitischer Ereignisse erst unter Einbeziehung der maritimen Perspektive deutlich wird. Auch dieser letzte Band ist - wie aus den bisherigen Bänden gewohnt - reich mit Karten ausgestattet. Den einzelnen Kapiteln sind wieder umfangreiche Einführungen vorangestellt, die Seemacht als integrierten Bestandteil allgemeiner politischer und militärischer Entwicklungen ausweisen. Mit "dem Pemsel" liegt jetzt ein bedeutsames geschichtliches Grundlagenwerk komplett vor, nicht nur für speziell marinegeschichtlich Interessierte.

Helmut Pemsel: Seeherrschaft III. Seekriege und Seepolitik von 1914 bis 2006. Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg 2006, gebunden, 520 Seiten, Abbildungen, 52 Euro

Foto: Flaggen-Zeremonie auf dem Flugzeugträger USS Nimitz während der Heimkehr aus dem Golfkrieg im November 2003: Nahezu uneingeschränkte Herrschaft über die Weltmeere


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