© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Der Größe der Nation dienen
Bonapartismus: Der neue französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy wird mit Napoleon verglichen
Karlheinz Weissmann

Die letzte Ausgabe des Stern erschien mit einem Foto des lachenden Nicolas Sarkozy auf dem Umschlag und dem Titel "Der neue Napoleon". Im zugehörigen Artikel wird der künftige Präsident Frankreichs mit dem berühmten Korsen verglichen: wegen der Körpergröße, wegen des Machtwillens und wegen der Tatsache, daß Sarkozy 2004, im Jahr der Kaiserkrönung Napoleons, die Führung der Mitte-Rechts-Partei UMP übernahm. Das sind natürlich keine ernst zu nehmenden Argumente, aber eben das Niveau, auf dem der Stern eine Debatte aufnehmen kann, die in Frankreich über die Frage geführt wird, ob man Sarkozy als "Bonapartisten" zu betrachten hat.

Der Begriff Bonapartismus ist im 19. Jahrhundert entstanden und bezieht sich auf den Familiennamen Napoleons. Ursprünglich war "Napoleonismus" oder "Cäsarismus" gebräuchlicher. Gemeint war aber immer ein Regime, das sich bei autoritärer Machtausübung auf die direkte Zustimmung des Volkes stützt. Eine politische Bewegung, die das Ziel hatte, die "napoleonischen Ideen" zu verwirklichen, kam allerdings erst unter dem Neffen Napoleons auf, dem es später gelang, als "Napoleon III." die Macht in Frankreich zu übernehmen.

Der Bonapartismus hatte einen schillernden Charakter. Er wurde zuerst als "Partei der Ordnung" verstanden und galt insofern als rechts, aber es gab auch einen linken Bonapartismus, der in der Zeit der Restauration zur Zuflucht derjenigen wurde, die noch den "Ideen von 1789" anhingen (daher die Sympathie Heinrich Heines), und schließlich existierte ein liberaler Bonapartismus in der Endphase des ersten wie des zweiten Empire und dann in den Programmen der napoleonischen Prätendenten, die wenigstens bis in die Nachkriegszeit auf eine Wiederherstellung ihres Throns hofften.

Begründet war diese Hoffnung nicht. Keinem Herrscher aus dem Haus Bonaparte war es gelungen, die entscheidende militärische Niederlage zu überstehen - der Ruhm des Siegreichen gehört zu den Funktionsbedingungen des Bonapartismus - und "Napoleon II." wie "Napoleon IV." erlitten einen frühen Tod; der erste, nach der Abdankung des Vaters in Wien großgezogen, zum Herzog von Reichstadt erhoben, von den Habsburgern mißtrauisch beobachtet, starb jung an Tuberkulose: der zweite, mit den Eltern ins englische Exil verbannt, fiel als britischer Kolonialoffizier 1879 im Kampf gegen die Zulus.

Indes war Bonapartismus immer mehr als eine der zahllosen monarchistischen Bewegungen sehr unterschiedlicher Stärke, die seit dem 17. Jahrhundert die Wiedereinsetzung ihrer Thronanwärter verlangten, und sehr rasch hat sich die politische Theorie dieses eigenartigen Phänomens bemächtigt. Den Tendenzvarianten entsprachen verschiedene Interpretationen: Da waren die, die im Bonapartismus die Möglichkeit sahen, gewisse konservative Ziele unter der Bedingung des Massenzeitalters zu verwirklichen, vergleichbar dem, was Cäsar und Augustus für das Römische Reich im Niedergang leisteten, dann die, die im Bonapartismus eine modernisierte Variante der absoluten Monarchie erblickten, weiter jene, die ihn als Synthese aus Demokratie und Alleinherrschaft ansahen, und schließlich jene, die nur das ewig gleiche Bild der Militärdespotie erkennen konnten. Bemerkenswerterweise bediente sich der Marxismus zur Deutung der faschistischen Bewegungen häufig des Verweises auf den Bonapartismus, um so das unerwartete einer erfolgreichen Massenpolitik "von rechts" halbwegs mit den Begriffen zu klären, die dem Meister der Schule zur Verfügung gestanden hatten.

Das Verhältnis Mussolinis oder Hitlers zu Napoleon und diesem Erbe war allerdings von Vorsicht bestimmt. Der Wirkung des monarchischen Dekors stand man mit Skepsis gegenüber. In der NS-Zeit hat es nur einen - späten - Versuch gegeben, eine direkte Parallele zwischen Hitler und Napoleon herzustellen (Philipp Bouhler: Napoleon, München 1942), obwohl die Möglichkeiten des Vergleichs nach den Siegen von 1940 und der Proklamation des "Neuen Europas" offensichtlich waren. Immerhin hat Hitler bei seinem kurzen Besuch im eroberten Paris den Sarkophag Napoleons im Invalidendom gesehen und merkwürdigerweise befohlen, die Gebeine des Herzogs von Reichstadt nach Paris zu überführen; er wurde am 15. Dezember 1940, genau hundert Jahre nach Verbringung des Leichnams seines Vaters von Sankt Helena nach Paris, gleichfalls im Invalidendom bestattet; der Sarkophag erhielt die Inschrift "Napoleon II. - Roi de Rome".

Es sei hier nur am Rande vermerkt, daß der damalige Chef des Hauses Bonaparte sich zur Fremdenlegion meldete, um gegen die Deutschen zu kämpfen (die Republik hatte ihm den Eintritt in die regulären Truppen verweigert), sich dann der Résistance anschloß und im Kampf schwer verwundet wurde.

Anders als der Chef des königlichen Hauses hat sich dieser Louis Napoléon Bonaparte niemals intimer Gespräche mit Charles de Gaulle rühmen können, jenes Mannes, dem man in der Nachkriegszeit nicht nur ein Napoleon vergleichbares Charisma zugesprach, sondern auch die Fähigkeit, im "Gaullismus" eine Bewegung zu schaffen, die mit ihrer Ausrichtung auf eine Person, ihrem nationalen Pathos, ihrer Fixierung auf das Akklamatorische und der Integration der "kleinen Leute" sehr stark dem bonapartistischen Muster entsprach.

Versprechen von Ordnung und nationaler Gemeinschaft

In der klassischen Darstellung zur Geschichte der französischen Rechten des jüngst verstorbenen René Remond figuriert der Gaullismus denn auch als Erbe des Bonapartismus, der wiederum eine der drei legitimen Strömungen der französischen Rechten überhaupt darstellt: neben den Legitimisten und den Liberalkonservativen. Der Gaullismus, so Remond, sei selbstverständlich keine Nostalgie der Kaisertreuen (die längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind), aber: "Der Gaullismus hat das Bündnis von Demokratie, Autorität und nationalem Imperativ interpretiert, aktualisiert und modernisiert", das zu den wesentlichen Charakteristika des Bonapartismus gehörte.

Nach dem Tod de Gaulles gab es zwar noch eine gaullistische Partei, aber keinen Führer mehr, der den Anhängern das Gefühl vermittelt hätte, das ganze Frankreich zu repräsentieren. Wenn die Gegner Sarkozys ihn jetzt nicht mehr als einen George Bush à la française betrachten, sondern als "liberalen Bonapartisten", dann bedeutet das auch, daß sie die Niederlage der Linken - und die Fähigkeit Sarkozys, einen erheblichen Teil der Wähler Le Pens zu binden - darauf zurückführen, daß er das bonapartistische Modell erfolgreich übernehmen konnte: den direkten Appell an das Volk, das Versprechen von Ordnung und nationaler Gemeinschaft all derjenigen, die das Vaterland als das ihre anerkennen.

Sarkozys Wirtschaftskonzept, das sehr viel stärker als das sonst der gaullistischen Tradition entsprach, den Marktgesetzen folgen will, hat in der Mitte des politischen Spektrums schon zu Protesten gegen die Apostrophierung "liberal" geführt. Das Mißtrauen darf man berechtigt nennen; aber welche ökonomische Linie Sarkozy auch immer verfolgt: sie wird der Stärke Frankreichs dienen. 

Foto: Klebezettel der Bonapartisten aus den 1930er Jahren


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