© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Im Vogelflug ins späte Mittelalter
Mit Shakespeare zu ewigem Ruhm: Vor hundert Jahren wurde der Schauspieler und Regisseur Laurence Olivier geboren
Werner Olles

Im England der dreißiger Jahre erreichte die Tonfilmproduktion bei weitem nicht die Lebendigkeit wie in anderen Ländern. Radikale Kritiker führten diesen Mangel an Vitalität auf den Konservativismus der britischen Gesellschaft zurück. Tatsächlich wandte sich der englische Film jener Zeit vornehmlich an die gebildeten Klassen, während der Hollywood-Film um die Gunst der breiten Schichten warb und daraus seine Lebenskraft schöpfte. Und wenn man in England mit Erfolg historische Epochen schilderte, widmete man sich vor allem den Persönlichkeiten, nicht aber der Zeit und ihren Strömungen.

Das sollte sich erst ändern, als sich der bedeutende Produzent Erich Pommer nach seinen Erfolgen in Deutschland und Amerika in England niederließ. Eine seiner ersten Produktionen war "Fire over England" (Feuer über England, 1936), eine Abenteuernovelle aus den Tagen von Königin Elisabeth I. und der spanischen Armada. Mit diesem Film stellte Pommer zwei Darsteller in die vorderste Reihe internationaler Stars: Vivien Leigh und Laurence Olivier.

Olivier hatte sein Filmdebüt bereits einige Jahre zuvor in Deutschland bei der UFA gegeben. In der ebenfalls von Pommer produzierten und von Gustav Ucicky inszenierten höchst unterhaltsamen Kriminalkomödie "Hokuspokus" (1930) nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Curt Goetz spielte er eine kleine Nebenrolle. Daß dieser damals noch völlig unbedeutende Schauspieler nur wenig später mit seinem Aufruhr gegen den naturalistischen Filmstil und seinem Ehrgeiz, William Shakespeare filmisch lebendig zu machen, Kino-Geschichte schreiben würde, wäre wohl kaum jemandem in den Sinn gekommen. Doch schon mit "As You Like It" (Wie es Euch gefällt, 1936), einer der ersten Tonfilm-Adaptionen nach Shakespeare-Stücken, sorgte Laurence Olivier in der Rolle des Orlando für Furore.

Geboren wurde Olivier am 22. Mai 1907 in Dorking in der englischen Grafschaft Surrey. Seine Liebe zu Shakespeare, die er auch in seinen Filmen zum Ausdruck brachte, wurde ihm offenbar bereits in die Wiege gelegt. Insgesamt zehnmal für den Oscar nominiert, 1947 zum Ritter geschlagen und 1970 als Baron Olivier zum Life Peer of Brighton in der Grafschaft Sussex erhoben, blieb Olivier trotz seiner Erfolge Zeit seines Lebens bescheiden und bestand zum Beispiel darauf, schlicht als "Larry" angesprochen zu werden. In zweiter Ehe verheiratet mit der Schauspielerin Vivien Leigh, heiratete er später Joan Plowright, die er bei den Dreharbeiten zu "The Entertainer" (Der Komödiant, 1960) kennengelernt hatte. Am 11. Juli 1989 starb Olivier im Alter von 82 Jahren in Stayning, West Sussex. Als zweiter Bühnendarsteller nach David Garrick, dem diese Ehre zuteil wurde, liegt sein Grab im Poets' Corner in der Westminster-Abtei in London.

Mit "Wuthering Heights" (Sturmhöhe, 1939), einem außergewöhnlich düsteren, wildromantischen, exzellent gespielten und brillant fotografierten Hollywood-Melodram, und "Rebecca" (1940), dem ersten amerikanischen Film von Alfred Hitchcock, entstanden nach dem gleichnamigen Roman von Daphne du Maurier (JF 20/07), erwarb sich Olivier als Schauspieler eine führende Stellung in Europa. Sein Durchbruch als Regisseur kam indes mit "Henry V." (Heinrich V., 1943,1944). Oliviers Film, in dem er auch die Titelrolle spielte, war nicht etwa eine kolorierte Geschichtsreportage oder eine atelier-realistische Konstruktion der traditionellen Theaterverfilmung eines Shakespeare-Stückes, sondern ein Gedicht, dessen Shakespeare-Verse visuell in Linien, Farben und Perspektiven gedeutet wurden. Dabei spielt sich seine kongeniale Übertragung des Königsdramas, die von der Bühnenszenerie des historischen Globe-Theaters ausgeht und auf der Suche nach einer typischen filmischen Optik mit Massenarrangements und fahlen Farben experimentiert, in einem streng stilisierten Rahmen ab.

Im Vogelflug gleitet man über das London um anno 1600 bis an Shakespeares eigenen Schauplatz, das Globe-Theater am Themse-Ufer. Die Kamera kreist um das runde, turmähnliche Gebäude und schwebt auf den Burghof hinunter, auf dem sich zu gleicher Zeit die Zuschauer versammeln. Die Musikanten spielen auf, der Vorhang teilt sich. Darauf folgt eine anschauliche und amüsante Demonstration, wie man Shakespeare zu seiner Zeit spielte. In dem Augenblick, in dem die Handlung nach Frankreich verlegt wird, ermahnt uns der Herold, die Phantasie zu Hilfe zu nehmen, um die Wortmalerei - der Text wurde von Olivier um etwa die Hälfte gekürzt - der historischen Ereignisse auszufüllen. Dann identifiziert sich die Kamera mit dem Publikum des Theaters und veranschaulicht die Szenen der Chronica im Stil spätmittelalterlicher Kunst.

Oliviers "Henry V." wurde zu einem leuchtenden Höhepunkt im britischen Filmschaffen der dunklen Kriegsjahre. Wenige Jahre später übertraf er diesen Erfolg mit der wagemutigen und imposanten Adoption des Dramas aller Dramen.

"Hamlet" (1948), Shakespeares Tragödie vom Dänenprinzen, brach nicht nur mit der süßlich-sentimentalen Hamlet-Tradition des 19. Jahrhunderts und machte die Problematik für unsere Zeit verständlich, sondern schreckte auch nicht vor einer psychonanalytischen Deutung der Liebe Hamlets zu seiner eigenen Mutter zurück. Was ihn jedoch zu einem wirklich großen Film machte, war Oliviers sicherer Instinkt für die visuelle Dramatik des großen Master William.

Umgeben von den besten Schauspielern Großbritanniens (Ralph Richardson, John Gielgud, Cedric Hardwicke) spielte und inszenierte Laurence Olivier auch "Richard II." (1955). Der großartige Film zeigt den König rücksichtslos als den nachtschwarzen Schurken, wie Shakespeare ihn charakterisiert hat. Nicht einmal den Heldentod gönnt Olivier dem bösen Richard, sondern er läßt ihn von einem Haufen rasender Soldaten niedermachen, bis er sich wie ein Wurm am Boden krümmt. Die Szenen des humpelnden und buckligen Unholds gehören zu den wirkungsvollsten des Films.

Alle späteren Filme Oliviers konnten an diese Shakespeare-Adaptionen nicht mehr heranreichen. Am ewigen Ruhm dieses großen Regisseurs und Mimen ändern sie dennoch nichts.

Foto: Laurence Olivier in seiner Paraderolle als Hamlet: Instinktsicher


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