© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Über den Kopf gewachsen
von Günther Deschner

Wie fast immer in der libanesischen Politik steckt auch hinter den Gefechten zwischen libanesischen Kommandotruppen und der Islamistenmiliz Fatah al-Islam viel mehr als das, was man sieht.

Die neuen Kämpfe machen deutlich, in welchem Zustand sich der Zedernstaat befindet. Nach ultimativem Druck aus Washington mußten die Syrer, die man 1985 zu Hilfe gerufen und die seither das Land stabilisiert hatten, 2005 abziehen. Die schwache, ethnisch und religiös fragmentierte libanesische Armee konnte das entstandene Machtvakuum nicht füllen. Die stärkste Bevölkerungsgruppe im Land, die Schiiten unter Führung des Machtpolitikers Hassan Nasrallah, und die Christengruppe um Ex-General Michel Aoun boykottieren die Regierung und streben Neuwahlen an. In den Zwergstaat sickert langsam das ganze Gebräu von Konflikten ein, das für den Nahen Osten typisch ist: Sunniten gegen Schiiten, US-Interessen gegen die des Iran, der saudische Kampf gegen den Machtzuwachs der Schiiten.

Es ist ähnlich wie im Irak: Wenn ein Machtvakuum entsteht, wird ein Land reif für islamistische Fanatiker. Wenn die Mitteilungen des US-Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh zutreffen, wonach Saudi-Politiker im Fahrwasser des US-Vizepräsidenten Richard Cheney die sunnitischen Milizionäre sogar in den Libanon gesteuert haben, um dort den schiitischen Einfluß zurückzudrängen, dann könnte man fast Schadenfreude darüber empfinden, daß die "Gotteskrieger" ihren Erfindern über den Kopf gewachsen sind.


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