© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Sein letzter Vorhang
Nachruf: Jörg Immendorff
Matthias Schultz

Jörg Immendorff, am 14. Juni 1945 in Bleckede bei Lüneburg geboren, war das Enfant terrible der deutschen Kunstszene und bediente gerne jedes Klischee vom unangepaßten Bürgerschreck und Bohémien: So stolzierte er zu Beginn seiner Künstler-Karriere in den 1960er Jahren als damals noch überzeugter Mao-Anhänger mit einem schwarzrotgold bemalten Klotz am Bein vor dem Bonner Bundestag auf und ab, bis ihn die Sicherheitsleute einkassierten und damit erst den Eklat perfekt machten. Und am 20. Juli 2004 zitierte man Immendorff zuletzt vor den Kadi, weil er seine unheilbare Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) mit verbotenen Drogen im Kreise von Prostituierten in einem Nobelhotel dämpfte.

Bereits auf der Anklagebank war der längst international renommierte Künstler von seinem unheilbaren Leiden stark gezeichnet, sein linker "Malerarm" versagte schon den Dienst, Werke wurden nur noch mit Hilfe seiner Meisterschüler verwirklicht. Zuletzt konnte Immendorff sich nur noch im Rollstuhl geschoben fortbewegen, und den Goslarer Kaiserring konnte er letztes Jahr auch schon nicht mehr selber, sondern mußte seine 30 Jahre jüngere Ehefrau Oda entgegennehmen. Dabei war das exzessive Leben des Jörg Immendorff vorher stets immer für ein paar Schlagzeilen gut. Das hatte der Wahl-Düsseldorfer vielleicht von seinem hoch verehrten Lehrer Joseph Beuys. Ihm erwies der gelehrige Schüler auch bis zuletzt immer wieder seine Reverenz, indem er den Mann mit dem markanten, eingefallenen Gesicht und dem Hut als Markenzeichen auf seinen Bildern verewigte. Beuys im Kreise illustrer Kollegen, gegenwärtiger wie vergangener.

Denn Immendorff versammelte in seinem Bilder-Kosmos die gesamte Geschichte. Als "Historienmaler" modernen Formats drängte sich ihm dabei lange Jahre besonders die Thematik der deutschen Teilung auf. In der Serie "Café Deutschland" verarbeitete er zwischen 1977 und 1983 seine Beobachtungen aus der Politik. Angeregt durch die Bekanntschaft mit dem DDR-Maler A.R. Penck alias Ralf Winckler und einer Arbeit von Renato Guttuso schuf der Maler einen Zyklus, auf dem wie in einem Kaleidoskop splitterartig die Versatzstücke zusammengeführt wurden.

Auch in Immendorffs anschließender Serie "Café de Flore" machten sich weiterhin die deutsch-deutsche Trennung sowie der Kalte Krieg bemerkbar. Als Sinnbild des politischen Klimas stapften dort Eisbären und waberten Eisschollen zwischen einer äußerst bunten Gästeschar umher. Wesentlich kärglicher fiel hingegen die Arbeit "Elbquelle" von 1999 aus, welche als 25 Meter hohe Skulptur auch in Riesa eingeweiht wurde: ein abgestorbener Baumstamm, an dem im dürren Geäst eine Farbpalette sowie ein Malstock hängen und unten ein Spaten lehnt.

Immendorff liebte es auch, sich selbst in seine Werke mit einzubringen, sei es als Selbstbildnis, vielfach verkleidet, als Symbol der Biene in Anspielung auf seinen Nachnamen oder als "Maleraffe", der der Gesellschaft wie ein Narr den Spiegel vorhält. Als gelernter Bühnenbildner entwarf er ebenfalls für verschiedene Theater-Inszenierungen Kulissen sowie die Kostüme. Nun ist für Jörg Immendorff der letzte Vorhang gefallen, am Pfingstmontag erlag er einem plötzlichen Herzstillstand in seinem Haus in Düsseldorf.


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