© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Meldungen

Projektionsfläche für Revolutionssehnsüchte

BERLIN. Nicht mit dem mirakulösen Jahr 1968 setzt die tiefste Zäsur in der Geschichte des westdeutschen Teilstaates ein. Sondern "um 1958", irgendwann zwischen dem Ende der sozialistischen Blütenträume in Ungarn im Oktober 1956 und dem Staatsstreich de Gaulles im Mai 1958. Als Initialzündung hat dabei der Algerienkrieg gewirkt, wie Christoph Kalter in seiner Studie über die "Anfänge der Neuen Linken der Bundesrepublik" nachweist (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 2/07). Nachdem der "reale Sozialismus" infolge der sowjetischen Repression in Ungarn an Attraktivität verloren und die Sozialdemokratie kurz vor dem Godesberger Programm (1959) keine Alternative zum Kapitalismus mehr zu bieten hatte, entdeckte die sich formierende Linke in den "Befreiungsbewegungen" ein neues "weltrevolutionäres Subjekt". Seit 1957 fungierte die neugegründete Zeitschrift Konkret dabei als Multiplikator, der im Stil des "Boulevard-Journalismus" zur Solidarität mit Algeriens Kampf gegen den "französischen Kolonialismus" aufrief, während Der Spiegel in "genuin rassistischen Zuschreibungen" noch von "algerischen Terroristen" sprach. Für die "Neue Linke" sei Algerien daher lange vor Vietnam zur "Projektionsfläche für Revolutionssehnsüchte" geworden. Dabei habe sich der entlastende Nebeneffekt ergeben, den eigenen NS-"Schuldkomplex" auf Dritte abzuladen - "und zwar auf Frankreich als die Vormacht eines brutalisierten europäischen Kolonialismus". Der "NS-Vernichtungskrieg" sei von Konkret ungerührt dem Kolonialkrieg gleichgesetzt, de Gaulles Soldaten zu Tätern eines zweiten Holocaust gemacht worden. Dank solcher Vereinfachungen gewann die "Neue Linke" seit 1958 an Zulauf.

 

Keine Nation zwischen Krupps und Krauses

HANNOVER. Der Jurist Erich Röper, Honorarprofessor in Münster und Lehrbeauftragter in Bremen, müht sich seit langem, das vom Bundesverfassungsgericht und dem Gros deutscher Staatsrechtler für unauffindbar erklärte "europäische Volk" herbeizuschreiben. Ebenso unverzagt versucht er daher, den Nationalstaat als "Auslaufmodell" zu propagieren, wie nun wieder im Deutschland Archiv (2/2007), dem Organ der Bundeszentrale für politische Bildung. Abenteuerliche Rekonstruktionen zur Geschichte der Nationalstaatsbildung führen ihn zu der Ansicht, daß es "einheitliche" Nationen nie gegeben habe, nur ethnische Mehrheiten, die über Minderheiten herrschten. Auch politisch und wirtschaftlich sei ein nationales "Kollektivsubjekt" eine Fiktion. In sattsam bekanntem Furor zieht Röper dabei gegen "die Manager" zu Felde, für die "Bevölkerung" nur "Verschiebemasse für Börsenkurse" darstelle. Zwischen den "Krupps und den Krauses" gebe es darum keine "nationale" Gemeinsamkeit". Im Vergleich mit den Agenturen der globalisierenden Feinde des Nationalstaates sei die EU hingegen "demokratisch legitimiert", wie Röper dies in einsamer Mindermeinung verficht. Da sich "Deutschsein" wegen der Zunahme von Einwohnern mit "Migrationshintergrund" ohnehin "immer ein Stück weit" ändere, erweise sich die Nation gerade hierzulande als "Auslaufmodell ohne inneren Gehalt". Seine Brave New World verheißt Röper im "Nebeneinander" des "drittgrößten Staates der Erde", der kein dominierendes Zentrum mehr habe, dessen Lingua franca Englisch sei und der unter dem EU-Sternenbanner ein "Vorbild für weltweite Friedlichkeit" abgeben werde.

 

Erste Sätze

Mit der Tat eines Unreifen und Fanatikers begann das Völkermorden!

Ernst Müller-Meiningen: Weltkrieg und Völkerrecht. Eine Anklage gegen die Kriegsführung des Dreierverbandes, Berlin, 1915


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