© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Der fruchtbare Kampf gegen ein Propagandakonstrukt
Nach dem Ersten Weltkrieg gab es im Deutschen Reich viele offizielle Stellen zur wissenschaftlichen Widerlegung alliierter Schuldvorwürfe
Hans-Joachim von Leesen

Im Bundesjustizministerium ist 1950 auf Weisung Thomas Dehlers (FDP, Bundesjustizminister 1949-1953) eine Akte angelegt worden ("Tu quoque"), in der unter Angabe von Ort, Zeit und Sachverhalten Tausende von Kriegsverbrechen alliierter Soldaten gegenüber Deutschen festgehalten wurden. Sie sollte einer Versachlichung der einseitig geführten Diskussionen in der Kriegsverbrecherfrage dienen.

Diese heute in der Öffentlichkeit weithin unbekannte Tatsache teilte Erich Mende (1916-1998), Mitbegründer der FDP und bis 1980 Bundestagsabgeordneter und zeitweise Vizekanzler, in seinem 1972 erschienenen Buch "Die FDP. Daten, Fakten, Hintergründe" mit. Es mag überraschen, daß das erste Kabinett Konrad Adenauers so selbstbewußt nur wenige Jahre nach der deutschen Niederlage den Alliierten entgegentrat, doch folgte es damit nur dem Vorgehen aller Regierungen der Weimarer Republik gegen die immerwährenden Schuldvorwürfe gegen Deutschland.

Der Erste Weltkrieg hatte mit dem Versailler Friedensvertrag geendet. Der Unterzeichnung voraus ging eine von den Siegermächten eingesetzte "Kommission für die Feststellung der Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges und die aufzuerlegenden Strafen". Sie kam zu dem Schluß, der Krieg sei "von den Zentralmächten ebenso wie von ihren Verbündeten, der Türkei und Bulgarien, mit Vorbedacht geplant worden".

Diese Behauptung schlug sich im Artikel 231 des Versailler Vertrages nieder: "Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben."

Der Münchener Historiker Walter Post hat die deutschen Abwehrmaßnahmen gegen die Beschuldigungen in einem wissenschaftlichen Aufsatz an abgelegener Stelle vor einigen Jahren eingehend geschildert. Danach "rief die Zuweisung der alleinigen Kriegsschuld bei der deutschen Delegation helle Empörung hervor". Der deutsche Außenminister, Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau erklärte am 13. Mai 1919: "Die Auffassung der alliierten und assoziierten Regierungen darüber, wer als Urheber des Krieges beschuldigt ist, wird von der deutschen Delegierten nicht geteilt. Sie vermögen der früheren deutschen Regierung nicht die alleinige oder hauptsächliche Schuld an diesem Kriege zuzusprechen. In dem Entwurf eines Friedensvertrages findet sich nichts, was jene Auffassung tatsächlich begründet; keinerlei Beweise werden für sie beigebracht."

Sofort begannen die Abwehrmaßnahmen der Reichsregierung gegen die Beschuldigungen, und das obwohl sich die Vorwürfe der Sieger gegen den Kaiser und gegen die Monarchie richteten, die es seit November 1918 nicht mehr gab. Auch eine auf parlamentarisch-demokratischer Grundlage gebildete Regierung wehrte die Beschuldigungen ab, weil klar war, daß sie sich gegen die Deutschen richteten, unabhängig von der Staatsform.

Die Waffenunterstützung aus Deutschland kam nie an

Die Friedensdelegation beauftragte die Professoren Hans Delbrück, Max Weber, Albrecht Mendelssohn Bartholdy sowie den General a. D. Max Graf Montgelas damit, den Bericht der alliierten Kommission zu prüfen. Sie erkannten ihn schnell als Machwerk, das einer wissenschaftlichen Überprüfung in keiner Weise standhielt. Darüber hinaus beauftragte die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung den Schriftsteller und Sozialisten Karl Kautsky, die deutschen diplomatischen Akten zu sichten und herauszugeben. Zwar glaubte Kautsky zunächst, er werde in den Dokumenten Beweise für die Kriegsschuld der kaiserlichen Regierung finden, doch kam er nach dem Studium des Materials zu dem Schluß, daß die Regierung Deutschland "zwar kopflos und stümperhaft in ein politisches Abenteuer geführt habe", doch bestritt er entschieden, daß die kaiserliche deutsche Regierung den Weltkrieg gewollt habe.

Das beeindruckte die Sieger nicht. Deutschland mußte den Vertrag unterschreiben. Im Dezember 1919 wurde unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Gustav Bauer im Auswärtigen Amt ein "Kriegsschuldreferat" gegründet, dessen Aufgabe darin bestand, Deutschland von der Kriegsschuld zu entlasten und eine umfangreiche Aktenpublikation zu bewerkstelligen. Die Dokumentensammlung wurde unter dem Namen "Die Große Politik der Europäischen Kabinette" bekannt und hat Historiker aller Länder erheblich beeinflußt. Sodann schuf man eine "Zentralstelle für die Erforschung der Kriegsursachen", die von der Reichsregierung unterstützt wurde. Sie gab eine Zeitschrift Die Kriegsschuldfrage (später Berliner Monatshefte) heraus, die die Aufgabe hatte, die Diskussion der Kriegsschuldfrage zu fördern. Die deutsche Seite veröffentlichte zudem im Laufe des Weltkrieges erbeutete belgische und russische Dokumente, die belegten, daß es keineswegs Deutschland war, das den Krieg herbeigeführt hatte. Daneben befaßte sich ein "Untersuchungsausschuß der Deutschen Verfassungsgebenden Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages" mit den Ursachen des Weltkrieges. Ein in seinem Auftrag erarbeitetes Gutachten, das 1930 unter dem Titel "Die europäische Politik in der Julikrise 1914" veröffentlicht wurde, kam zu der Auffassung, die Schuld der Reichsregierung von 1914 liege nicht darin, daß sie den Krieg gewollt habe, sondern darin, daß sie nicht genug getan habe, um ihn zu verhindern. Daneben gab es eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit des Auswärtigen Amtes, um die alliierten Schuldzuweisungen zu widerlegen.

Die Arbeit trug ihre Früchte. Bald begann im Ausland eine akademische Diskussion über die Kriegsschuldfrage, zunächst in den USA, dann aber auch in den anderen Siegerländern. Das alles führte dazu, daß sich wenige Jahre nach Beendigung des Weltkrieges in der wissenschaftlichen Weit die Erkenntnis durchsetzte, daß von einer Alleinschuld Deutschlands nicht die Rede sein könne.

Adenauer und sein Kabinett folgten der Tradition der Regierungen der Weimarer Republik, unberechtigte Anwürfe gegen Deutschland zurückzuweisen - eine Politik, die sie von den jetzigen Bundesregierungen unterscheidet.


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