© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/07 08. Juni 2007

In die nächste Runde der Staatskrise
Ukraine: Der Streit um vorgezogene Neuwahlen scheint vorerst beigelegt / Gute Chancen für Janukowitsch und Timoschenko
Tatjana Montik

Am Pfingstsonntag schien die seit über 50 Tagen andauernde Staatskrise beigelegt: Präsident Viktor Juschtschenko hatte sich mit seinen Kontrahenten, Premier Viktor Janukowitsch und Parlamentssprecher Alexander Moros, auf einen Termin für die vorzeitige Parlamentsneuwahl geeinigt. Doch diese Lösung fand im Parlament zunächst keine Mehrheit. Außerdem kam die zur Parlamentsauflösung notwendige Zahl von 151 Mandatsniederlegungen (von 450) nicht zustande.

Juschtschenko, Ende 2004 als der Held der "Orangenen Revolution" gefeiert, hat in den zwei Jahren seiner Amtszeit die Wähler enttäuscht. Die "Krönung" war die Unterzeichnung eines Quasi-Koalitionsvertrages zwischen seiner Volksunion Unsere Ukraine (NSNU) und den "blauen" Gegnern, Janukowitschs Partei der Regionen (PR) und den Kommunisten (KPU), sowie Moros' übergelaufenen Sozialisten (SPU, JF 33/06). Doch die Parteien blockierten die Regierungsgeschäfte, wichtige Reformen wie die der Judikative, der regionalen Selbstverwaltung oder des Grundbesitzrechtes ließen auf sich warten.

Der Präsident wollte schließlich im April mit zwei verfassungsrechtlich fragwürdigen Ukassen Parlamentsneuwahlen für den 27. Mai herbeiführen. Das "blaue" Regierungslager "mobilisierte" daraufhin seine Stammwähler aus den östlichen Provinzen - daß dabei auch viel Geld im Spiel war, ist nicht neu. Die politische Spannung erreichte ihren Höhepunkt, als Juschtschenko den Generalstaatsanwalt Swjatoslaw Piskun (PR) absetzte und Innenminister Wassilij Zuschko als Chef der Miliz mit einer Sondereinheit das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft stürmen ließ.

Neuwahlen nur ab 50 Prozent Beteiligung gültig

Als Reaktion unterstellte Juschtschenko die Truppen des Innenministeriums seiner Befehlsgewalt. Es gab sogar Spekulationen über die Ausrufung des Ausnahmezustandes - doch in der Nacht zum Pfingstsonntag wurde dann nach siebenstündigen Verhandlung ein Kompromiß erreicht: Die Parlamentsneuwahl soll am 30. September stattfinden. Ein müder, aber zufriedener Präsident bezeichnete seine Opponenten als Partner, reichte ihnen die Hand und ging mit ihnen feiern - beim Fußballspiel zwischen Dynamo Kiew und Schachtjor Donezk. Zuschko erlitt inzwischen einen Herzinfarkt. Er sei zur Behandlung nach Deutschland geflogen worden, hieß es. Es wurden auch Gerüchte über eine Vergiftung kolportiert - Juschtschenkos Gesicht ist seit seiner Dioxinvergiftung von 2004 entstellt.

Fände die Neuwahl jetzt statt, hätte die NSNU bessere Chancen als noch vor einigen Monaten. Der späte Wahltermin scheint ungünstig. Nicht zuletzt deshalb, weil in der Pfingst-Vereinbarung festgelegt wurde, daß das Gesetz über den Staatshaushalt neu verabschiedet werden darf. So kann Janukowitschs Regierung nach einem bereits erprobten Verfahren Renten und Gehälter erhöhen und somit einiges an Wählergunst einfangen.

Die PR dürfte so noch mehr Parlamentssitze als im März 2006 (etwa 40 Prozent) bekommen. Für die SPU sieht es aber düster aus. Der Frontwechsel von Moros ("ukrainischer Judas" genannt) und die neue Partei Narodnaja Samooborona (Selbstverteidigung des Volkes) von Ex-SPU-Innenminister Jurij Luzenko könnte sie unter die Drei-Prozent-Hürde drücken.

Das Parlament hat vorigen Freitag nun die für Neuwahlen notwendigen Gesetze mit 251 von 402 anwesenden Abgeordneten in erster Lesung verabschiedet. Interessant ist die Regelung, daß vorgezogene Neuwahlen ungültig werden, wenn weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten abstimmen.

Juschtschenko droht wegen seiner Ukasse über die Parlamentsauflösung Ärger mit dem Verfassungsgericht. Würde es gegen ihn entscheiden, dürfte er seinen Ruf als demokratischer Politiker endgültig einbüßen. Oppositionsführerin Timoschenko könnte aus der Krise gestärkt hervorgehen. Zum einen hat sich die Ex-Regierungschefin aus den Querelen der letzten Monate herausgehalten. Und laut der im Auftrag des ukrainischen Politmagazins Korrespondent durchgeführten Studie gilt die attraktive 46jährige als die beste Rednerin unter den ukrainischen Politikern. Ihr BJuT könnte erneut zweitstärkste Kraft im Parlament zu werden.

Ob die Neuwahlen stabilere Verhältnisse bringen, ist unsicher. Denn auch danach bleibt die umstrittene Verfassungsreform von 2004 in Kraft, nach der dem Präsidenten wichtige Vollmachten genommen wurden. Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten und der Regierung sind so vorprogrammiert - speziell, wenn bei einer Verfassungsreform die jeweiligen Kompetenzen neu abgesteckt werden sollten.


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