© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/07 08. Juni 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Brüskierung Europas
Andreas Mölzer

Hans-Gert Pöttering hatte sich seine erste offizielle Nahostreise als Präsident des Europaparlaments wohl anders vorgestellt. Der Auftritt vor der Knesset in Jerusalem wurde allerdings zu einer Blamage für ihn - und für Europa. Begonnen hatte alles damit, daß er vor fast leeren Rängen sprechen mußte. Die wenigen anwesenden Abgeordneten zeigten sich betont desinteressiert.

Daß Pöttering auf deutsch sprach, mag die Knesset-Präsidentin Dalia Itzik ebenso erbost haben wie der Inhalt seiner Rede. Denn das CDU-Präsidiumsmitglied sprach verhalten, aber offen die israelische Unterdrückungspolitik gegenüber den Palästinensern an. Erst kritisierte er die Sperrmauer, die nicht nur das palästinensische Westjordanland zerschneidet, sondern auch die endgültigen Grenzen Israels markieren soll. Zudem forderte er die Freilassung des wenige Tage zuvor von den Israelis verhafteten palästinensischen Bildungsministers Nasser al-Din Schaer. Er bekräftigte den Standpunkt des Europaparlaments, wonach eine Zwei-Staaten-Lösung, deren Ausgangspunkt die Grenzen von 1967 sind, der einzige Weg für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten ist.

Daß Pöttering pflichtgemäß an die "unvergleichlichen Leiden" erinnerte, die "dem jüdischen Volk angetan worden sind", konnte seine Amtskollegin ebensowenig beruhigen wie dessen Verurteilung des Beschusses Israels durch palästinensische Kassam-Raketen. Entgegen allen diplomatischen Gepflogenheiten erteilte Itzik Pöttering den Rat, sich "besser zu informieren". Auch solle er darüber nachdenken, warum es in Israel Menschen gebe, die sagen, daß Europa immer zu wenig tue und zu spät reagiere.

Der geschilderte Vorfall läßt befürchten, daß es in absehbarer Zeit weder zu einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts noch zu einem dauerhaften Frieden in der gesamten Region des Nahen Ostens kommen wird. Denn Israel scheint nicht bereit zu sein, auch nur ein Jota von seinem Standpunkt - die Friedensbedingungen diktieren zu können - abzurücken. Doch ohne einen lebensfähigen Palästinenserstaat nach den Grenzen von 1967 werden alle Friedensbemühungen zum Scheitern verurteilt sein. Selbstverständlich ist auch das Existenzrecht des Staates Israel anzuerkennen, jedoch darf dieses Recht nicht zum Vorwand genommen werden, um die demographische Struktur im besetzten Westjordanland zu verändern.

Brüssel darf aus der jüngsten Brüskierung keinesfalls die Konsequenz ziehen, in der Nahost-Politik auf die Linie der USA einzuschwenken. Denn eine einseitige Parteinahme zugunsten Israels würde unweigerlich zu einer Verschlechterung der Beziehungen zur gesamten islamischen Welt führen und bliebe vermutlich auch nicht ohne Auswirkungen auf die Millionen Moslems, die bereits heute in der EU leben. Ob sich Europa mit einem Sperrwall wird schützen können, ist zu bezweifeln. Besondere Brisanz hat Pötterings Knesset-Rede vor dem Hintergrund des drohenden EU-Beitritts der Türkei. Denn die Aufnahme Ankaras soll, wie immer wieder zu vernehmen ist, nur der Versuchsballon für einen EU-Beitritt Israels sein. Sollte Israel eines fernen Tages Mitglied der EU sein, dann wäre Europa vollkommen in die kriegerischen Auseinandersetzungen des Nahen Ostens verstrickt.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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